Die Kirche versteht die Liturgie nicht als Menschenwerk, sondern als Wirken Gottes,
der sich auf den Altären als Heilsopfer immer wieder neu verkörpert. Diese Realität kann
nur dann als glaubwürdig wahrgenommen werden, wenn die Subjektivität der Beteiligten
möglichst unsichtbar ist. Die Unterwerfung unter das Ritual macht jedem klar, daß man
durch sie keine Individuen machen, sondern sie zu Werkzeugen für das Wirken Gottes
Was ist der Feind der römischen Liturgie?
"Die Vergötterung der Subjektivität. Die Umkehrung des Glaubens an den historischen
Christus in einen ahistorischen und undogmatischen Mythos. Der Widerwille gegen die
Schönheit, den Platon apeirokalia nennt, und die Liebe zur Deformation. Die Verleug-
nung der Tatsache, daß die Tradition keine Last für die Kirche ist, sondern ihr Wesen."
Was ist der Unterschied zwischen der "Reform", die am Ende des II. Vatikani-
schen Konzils eingeleitet wurde, und den Veränderungen, die sich im Laufe der
Jahrhunderte in der Liturgie vollzogen haben?
"Natürlich hat es im Laufe der Jahrhunderte viele Veränderungen in der Liturgie gegeben,
es kann nicht anders sein. Schauen Sie sich nur den Unterschied zwischen einer romani-
schen Basilika, einer gotischen Kathedrale und einer Barockkirche an. Wichtiger ist jedoch,
was immer gleich geblieben ist: die Ausrichtung des Zelebranten zusammen mit der
Gemeinde auf den Herrn, der aus dem Osten zurückkehrt, die Sprache des Gottesdienstes
und die Theologie des Opfers. Die Veränderungen, die organisch stattgefunden haben,
haben in ihrer Entwicklung nichts verändert und sind anonym durchgeführt worden, ohne
daß es einen klar definierbaren Urheber gegeben hätte, einen externen Reformer, der an
einem bestimmten Punkt mit Autorität eingegriffen hat. Die Feier der Messe durch Papst
Gregor den Großen bis 1968 hatte viel mehr gemeinsam als die Divergenz."
Kann man sagen, daß wir im letzten halben Jahrhundert die Entsakralisierung,
Protestantisierung und Demokratisierung des Ritus erlebt haben?
"Vielleicht war das nicht die Absicht der 'Reformer', aber das ist das Ergebnis. In einem
Land wie Deutschland, in dem es genauso viele Protestanten wie Katholiken gibt, gibt
es keinen Unterschied mehr zwischen den Konfessionen in Glaubensfragen."
Als Kardinal schrieb Joseph Ratzinger: "In der Liturgie schaut der Mensch
nicht auf sich selbst, sondern auf Gott; der Blick ist auf Ihn gerichtet. Darin
darf der Mensch sich nicht so sehr erziehen, als vielmehr die Herrlichkeit
Gottes betrachten«: Ist es das, was verloren gegangen ist?
"In den Ohren des gewöhnlichen zeitgenössischen Katholiken scheinen diese Worte
Ratzingers aus einer sehr fernen Zeit zu stammen. Allein der Begriff der 'Herrlichkeit
Gottes' kann einen den Kopf schütteln lassen, weil die Theologen die verbliebenen
Gläubigen daran gewöhnt haben, mit einem 'Gott auf Augenhöhe' zu sprechen."
Ist im Laufe der Jahre anstelle der Zentralität Christi die Gestalt des Priesters
zum Protagonisten geworden und gleichzeitig die aktive Teilnahme der
Gläubigen?
"Mit der ahistorischen Umkehrung der Ausrichtung des Zelebranten ist die Ausrichtung
auf das Kreuz unmöglich geworden. An vielen Altären gibt es heute kein Kruzifix mehr,
sondern ein Mikrofon, das die Stimme des Priesters bis in den letzten Winkel
widerhallen lässt, damit ihn niemand vergisst. Bei traditionellen Feiern verschwindet
der Priester als Person."
Beurteilen wir heute den Erfolg einer Feier anhand der Willkommens-,
Verabschiedung- und Kreativitätsmomente der Organisatoren?
"Heute muss jede Gemeinschaft ihr eigenes liturgisches Komitee haben, in dem sich
die Laien neue Ausschmückungen der Liturgie, neue musikalische Programme und
neue Gebete vorstellen können, die eine Autorität beanspruchen, die ihnen nicht
zusteht."
Neigen diejenigen, die glauben, daß das wichtigste Vermächtnis Christi seine
Lehre und die Worte der Evangelien sind, dazu, die gemeinschaftlichen Ele-
mente der Liturgie zu bevorzugen?
"Das Bewusstsein, daß die Liturgie ein Akt Gottes ist, ist in den Hintergrund gerückt.
Daß es nicht um Lehren geht, sondern um das Zeugnis des Heilshandelns Gottes.
"Die Katechese muss außerhalb der Liturgie stattfinden, was nicht mehr der Fall ist.
Die Kirche, zumindest in Deutschland, hat sich von der systematischen Lehre des
Katechismus verabschiedet. Die meisten Gläubigen, die heute die Messe
besuchen, kennen das Glaubensbekenntnis nur vage."
Glaubst du nicht, dass eine gewisse Vereinfachung und größere Unmittelbarkeit
der Liturgie die Herangehensweise vieler junger Menschen begünstigt hat?
"Die Hoffnung der 'Revolutionäre der Messe' war es, den Massen den Zugang zur
Liturgie zu erleichtern. Diese Hoffnung hat sich jedoch zerschlagen. Die Abkehr von
der Religionsausübung begann mit der Reform nach dem Zweiten Vatikanischen
Konzil, denn schließlich hatte die Messe ihre Anziehungskraft verloren.
Machen sich diejenigen, die sich nach der tridentinischen Messe sehnen, des
Ästhetizismus schuldig?
"Das ist ein besonders böswilliger Vorwurf, weil er den Anhängern der Alten Messe
vorwirft, nicht Glaubensfragen, sondern eine Art Operettenaufführung zu sein.
Auf diese Weise wird versucht, von der Tatsache abzulenken, daß die neue Formel
für große Teile der Gläubigen das depositum fidei beschädigt hat."
Was bringt Sie zu der Annahme, dass Benedikt XVI. die von Paul VI. 1969 ein-
geleitete "Reform der Reform" einleiten würde?
"Benedikt XVI. hatte schon als Kardinal verstanden, daß die Revolution der Messe dem
Glauben schweren Schaden zugefügt hatte. Von Natur aus mied er jedoch gewaltsame
Trennungen. Er wollte den Schaden umsichtig heilen und hoffte, daß durch die Wie-
dereinführung des traditionellen Opfergebets und auch durch die Rückkehr der Feier
nach Osten der Bruch weniger brutal sein würde. Als Papst verstand er, daß der Wider-
stand gegen solche Korrekturen unüberwindlich sein würde,und so begründete er die
Koexistenz der Alten und der Neuen Messe in der Hoffnung, daß ein neues liturgi-
sches Bewusstsein entstehen würde. Leider hat seine unerwartete Abdankung diesen
Versuch gefährdet."
Im Juli 2021 schränkte Papst Franziskus mit der Verkündung des Motu proprio
Traditionis custodes die Möglichkeiten, die Messe mit dem alten Ritus zu feiern,
weiter ein und brachte ein pastorales Anliegen zum Ausdruck, um eine Starrheit
kleiner Gemeinschaften zu vermeiden.
"Es muss anerkannt werden, dass diese Bedenken bestanden, weil durch das vorange-
gangene Motu proprio von Benedikt XVI., Summorum Pontificum, der liturgische Friede
hergestellt worden war: Die Gemeinschaften, die mit dem alten Ritus verbunden waren,
lebten mit denen zusammen, die den Reformritus praktizieren. Die Fortführung der
traditionellen Liturgie zeigte, daß sich das Glaubensbekenntnis der Kirche nicht geändert
hatte. Die Tatsache jedoch, daß neue Generationen den alten Ritus wiederentdeckten,
muss die Bedenken geschürt haben, die zu Bergoglios neuem Motu proprio führten."
Rührt die Häresie des Formlosen von der vorherrschenden Konformität her, d.h.
von der Gefahr, vor der der heilige Paulus im 12. Kapitel des Römerbriefes warnt?
"Die Ermahnung des Apostels Paulus im Brief an die Römer: 'Gleicht euch nicht der Men-
talität dieser Welt an', berührt den Kern unserer Situation. In der Tat stellt der alte Ritus mit
seiner Betonung der Hierarchie, des Übernatürlichen und des Überzeitlichen den wichtigsten
und wirksamsten Akt des Widerstands gegen die »Welt« dar, von der Paulus spricht. Es
ist die entschiedene Weigerung, sich mit den Maßstäben der zeitgenössischen Antikultur
abzufinden."
Was halten Sie von der vom Präfekten des ehemaligen Heiligen Offiziums, Victor
Manuel Fernández, unterzeichneten und von Franziskus gebilligten Erklärung
Fiducia Supplicans, die die Segnung homosexueller Paare ermöglicht, was die
meisten deutschen Bischöfe zur Freude gebracht hat, aber gleichzeitig den
Wind des Schismas in der Kirche geschürt hat?
"Fiducia supplicans folgt der schlechten Praxis, die bereits in den Dokumenten des II.
Vatikanischen Konzils, zum Beispiel in der Erklärung über die Religionsfreiheit, angewandt
wurde, nämlich Bruch und Tradition zu vermischen und gleichzeitig zu erklären, daß die von
der Kirche überlieferte Lehre intakt bleibt. Das ist die Gerissenheit der Jesuiten, die Blaise
Pascal in den Provinzialen gut beschrieben hat. Gewisse Pseudo-Spitzfindigkeiten, wie
die Erfindung verschiedener Klassen von Segnungen, hinter denen sich der Präfekt des ehe-
maligen Heiligen Offiziums verschanzt, werden aus der Praxis gestrichen, und niemand
wird sie verhindern können. Die deutschen Bischöfe sehen in dem Dokument mehrheitlich
eine Verbeugung des Vatikans vor ihren Forderungen und fühlen sich bestätigt.
Die Gefahr eines Schismas – das doch für die Scheidung der Geister fast eine gute Sache
wäre – ist mit dieser lauwarmen Lösung nicht gebannt. Gewisse kluge Taktiken schaden vor
allem der Autorität des Inhabers des Heiligen Stuhls."
Quelle: M Caverzan, M. Mosebach, LNBQ
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