Ricardo Cascioli analysiert für La Nuova Bussola Quotidiana die im Kanonischen Recht definierten Machtbefugnisse des Papstes.
"DER PAPST BESITZT DIE HÖCHSTE MACHT, ABER SIE IST NICHT ABSOLUT ODER UNBEGRENZT:"
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Dies ist der erste Teil einer zweiteiligen Studie über die päpstliche Macht: nicht ein persönlicher Status der Überlegenheit oder Herrschaft, sondern eine Aufgabe der Fürsorge und des Dienstes, mit genauen Grenzen.
Mehrere mehr oder weniger aktuelle Ereignisse haben dazu beigetragen, die Frage nach den Grenzen der Macht des Papstes zu verschärfen. Traditionell sprechen wir von plenitudo potestatis, einem Ausdruck, der jedoch, vielleicht dank der Ideologien des 20. Jahrhunderts und der Gegenwart, zunehmend auch vom Inhaber selbst als absolute und willkürliche Macht verstanden wird. Deshalb haben wir Professorin Geraldina Boni, ordentliche Professorin für Kirchenrecht, Kirchenrecht und Geschichte des kanonischen Rechts an der Fakultät für Rechtswissenschaften der Universität Alma Mater Studiorum in Bologna, gebeten, uns in dieser heiklen und dringenden Frage zu beraten. Prof. Boni ist auch Präsident der Interministeriellen Kommission für Abkommen mit religiösen Bekenntnissen und Religionsfreiheit und Konsultor des Dikasteriums für Gesetzestexte
Der Papst steht nicht allein über der Kirche; sondern in ihr als Getaufter unter den Getauften und im Bischofskollegium als Bischof unter den Bischöfen, der zugleich berufen ist – als Nachfolger des Apostels Petrus – die Kirche von Rom zu leiten, die in Liebe allen Kirchen vorsteht". Dieser Satz, den Papst Franziskus am 17. Oktober 2015 ausgesprochen hat, ist vollkommen harmonisch in die säkulare Entwicklung der fortschreitenden Durchdringung der Substanz des munus eingeschrieben, die Christus Petrus und seinen Nachfolgern durch das katholische Lehramt sowie durch die theologische und kanonische Wissenschaft anvertraut hat. Ein allmähliches Verständnis des Petrusamtes, das auch von den verschiedenen historischen Zufälligkeiten, die die Kirche erlebt hat, geprägt und beeinflusst wurde (vgl. mein jüngstes Buch Gesetz in der Geschichte der Kirche. Vorträge, Morcelliana, 2023).
So muss die besonders einschneidende und treibende Rolle, die das Papsttum seit Beginn des zweiten Jahrtausends spielte und die zu einer entscheidenden Zentralisierung und rigiden Vertikalisierung der Leitung der gesamten Kirche führte, im Kontext – wie auch der mittelalterlichen Mentalität – des "gigantischen Duells" gesehen werden, das die Kirche führte, um sich von der Unterwerfung unter das Imperium zu befreien und ihre libertas wiederzuerlangen. Und doch hat auch die unmittelbar darauf folgende – in der klassischen Epoche des kanonischen Rechts – der päpstlichen plenitudo potestatis zwar den Jurisdiktionsgehalt des Primats deutlich betont und seine Vorrechte erheblich ausgeweitet, aber nie Zweifel daran gehegt, die Willkürlosigkeit der päpstlichen Macht entschieden zu verkünden. Indem er z. B. die pflichtgemäße Befolgung des status generalis Ecclesiæ durch den Nachfolger Petri aussprach und auf utilitas oder ædificatio Ecclesiæ als Rechtfertigungsgründe für die Institutionalisierung des Primats beharrte, ging dies insbesondere bei der Verteidigung der Einheit und des Glaubens zurück.
So wird die Freiheit und Emanzipation des Papstes von den Gesetzen einerseits in der alleinigen Überlegenheit des positiven Rechts und andererseits in der unerläßlichen Rationalität einer von ihm gewährten Dispens begrenzt und spezifiziert, ohne jemals die im ius divinum fest verankerten Grundlagen der kirchlichen Ordnung und Disziplin kompromittieren zu können. Auf der anderen Seite herrscht die feste Überzeugung, daß die Abgrenzung des Petrusamtes die Autorität des Stellvertreters Christi in keiner Weise schwächt, sondern stärkt und sie stärkt, indem sie sie in der echten kirchlichen Tradition und vor allem in dem empfangenen authentischen Mandat verwurzelt.
Ohne nun bei den Stadien der jahrhundertealten Reifung im Hinblick auf den munus petrinum verweilen zu wollen, sei noch einmal erwähnt, nur beiläufig, wie auf dem Ersten Vatikanischen Konzil, das die "Lehre von der Einrichtung, der Dauerhaftigkeit und dem Wesen des heiligen apostolischen Primats" (Pius IX., Dogmatische Konstitution Pastor æternus) (Pius IX., Dogmatische Konstitution Pastor æternus)) wird immer wieder auf das göttliche Gesetz als Quelle und Kriterium verwiesen, das den Primat inspiriert und ihm eine konstitutive Bindung auferlegt. Die Konstitution Pastor æternus präzisiert insbesondere, daß "diese Macht des Papstes in keiner Weise die Macht der ordentlichen und unmittelbaren bischöflichen Jurisdiktion der einzelnen Bischöfe beeinträchtigt", was auch ein klares Bewusstsein für die dem Petrusamt innewohnende einigende und wesentlich dienende Funktion offenbart und sich so von jenem despotischen und autokratischen Vorbild distanziert, das von seinen Gegnern angefochten wird.
Das Zweite Vatikanische Konzil, das sich schließlich von defensiven und apologetischen Bedenken (vor allem im Hinblick auf die weltliche Einmischung) befreit hat, hat dann jenen Rahmen integriert und vervollkommnet, nach dem der Papst nicht der Herr, sondern der Verwalter und Hüter der Heilsgüter und der societas Ecclesiæ ist, unter anderem durch die Hervorhebung der diakonischen Prägung des gesamten kirchlichen Amtes, ohne Ausnahme des päpstlichen, die auf die bonum commune gerichtet ist, sowie die eindringliche Aufforderung, die Rechte der Gläubigen zu schützen.
Die Überlegungen der Kongregation für die Glaubenslehre über den Primat des Nachfolgers Petri im Geheimnis der Kirche (1998) setzen die Entscheidung über die Ausdehnung des Petrusamtes auf die necessitas Ecclesiæ erneut in Beziehung, indem sie erneut die Willkürlosigkeit der Ausübung des Gebotes deutlich machen und eine Verantwortung des Papstes aufzeigen, die unabdingbar auf die Erbauung der Kirche gerichtet und durch den Dienst gewährleistet ist der Einheit, indem wir die Gemeinschaft mit den anderen Bischöfen und mit dem ganzen Volk Gottes aufrechterhalten und fördern. Die Bewertung der necessitas Ecclesiæ, die auch in can. 333 § 2 des Codex Iuris Canonici in der Geltung, obwohl er der unzweifelhaften Unterscheidung des Papstes überlassen ist, kann aus diesem Grund nicht in seine hypothetische diktatorische Willkür übersetzt werden: im Gegenteil, das Prinzip der necessitas Ecclesiæ ist richtig und vorzüglich juristisch, da der Nachfolger Petri gerade kraft des Amtes, das er ausgeübt hat, unwiderlegbar daran gebunden ist.
Selbst aus diesen dürftigen Hinweisen geht hervor, dass in der Kirche über die Jahrhunderte hinweg das Bewusstsein konstant und daher in Stein gemeißelt ist, daß die Macht des Nachfolgers Petri zwar höchst, aber keineswegs absolut ist. Verbote oder zwingende Verbote werden nicht ausdrücklich heraus gefiltert, sondern es werden ohne Zögern Verpflichtungen und Bedingungen umrissen, die das Petrusamt vollständig in die konstitutionelle Struktur der Kirche einfügen: Das heißt, die Grenzen sind dem Wesen des Petrusamtes selbst innewohnend und angeboren, sie gestalten es, nähren und stärken es, anstatt seinen höchsten Charakter zu verringern oder gar zu untergraben.
Selbst das Amt des Papstes kann daher nicht auf einen persönlichen Status der Überlegenheit oder Herrschaft zurückgeführt werden – "getauft unter den Getauften", behauptete Franziskus, indem er die radikale und grundlegende Gleichheit aller Christifideles beschwor und so weit ging zu erklären, daß "in dieser Kirche, wie in einer auf dem Kopf stehenden Pyramide, die Spitze unter dem Sockel ist".aber sie überträgt eine Aufgabe der Fürsorge und des Dienstes, die die christologische Matrix widerspiegelt (Mt 20,28; Lk 22,27) und die Gemeinschaft der Gewalt, nach der schönen Definition Gregors des Großen, nach der der Bischof von Rom servus servorum Dei ist."
Quelle:R. Cascioli, LNBQ
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