Stefano Fontana stellt in La Nuova Bussola Quotidiana ein Buch von Pater Mauro Gagliardi über die Theologie von Joseph Ratzinger - Papst Benedikt XVI vor.
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"OFFENBARUNG UND HERMENEUTIK BEI RATZINGER - ERKLÄRT VON M. GAGLIARDI"
Im Band "Offenbarung, Hermeneutiken und Entwicklung der Doktrin bei Joseph Ratzinger" präsentiert Fr. Mauro Gagliardi eine Gesamtschau des Glaubens, der Theologie und Lehre des großen deutschen Theologen, der Papst Benedikt XVI wurde.
Der Theologe Fr. Mauro Gagliardi hat ein Buch veröffentlicht, das Jossph Ratzingers Denken über theologische Kernthemen bewertet; "Offenbarung, Hermeneutik und Entwicklung der Lehre bei Josepin Ratzinger", das 2023 bei Roman Athenaeum Regina Apostolorum" in Rom veröffentlicht. Es ist ein wichtiges Werk, das sich nicht nur einen speziellen Aspekt von Ratzingers theologischem Erbe befaßt, sondern widmet sich dem Geamten des Glaubens, der Theologie und der Lehre.
Die Darstellung folgt der chronologischen Entwicklung der Publikationen Ratzingers zu den Themen -beginnend mit dem Hablitationsthema über die Theologie der Offenabrung des Hl.Bonaventura und bewegt sich dann zu den Schriften seiner Reife, den Veröffentlichungen der Bischofs-Periode in München und der Glaubenskongregation und kommt schließlich bei den Iterpretationen der Hermeneutiken an, die auch die Zeit des Popntifikates berühren, mit einigen ezugnahmen auf "Jesus von Nazareth" und eine Fußnote zur Rede an die Römische Kurie von 2005, ein Themaauf das unser Autor jedoch nicht eingeht. Das Buch ist dem "teuren Andenken an Benedikt XVI" gewidmet und zeigt die große Wertschätzung; Die Darstellung ist von großer Strenge und hier und da gibt es auch einige respektvoll kritische Bemerkungen. Das Buch ist ein wichtiges Werk für ein umfassendes Verständnis der großen theologischen Linien des späteren Papstes Benedikt.
Laut Gagliardi zeigt sich Ratzinger bis zu den Jahren des Konzils als vom Personalismus beeinflußt- wenn auch im Lichte des heiligen Augustinus neu gelesen – und von der Aufmerksamkeit für die Geschichte, in einem kritischen Ton im Hinblick auf den Neo-Thomismus der Zeit, ohne jedoch wie andere seiner Weggefährten die Metaphysik zu vernachlässigen (S. 29). Das veranlasste ihn, die tridentinische These von den beiden Quellen der Offenbarung, der Heiligen Schrift und der Tradition, zu überdenken und die Offenbarung als die einzige Quelle zu betrachten, aus der "beide Ströme der Heiligen Schrift und der Tradition“ fließen (S. 33). Die erste sollte dann die ontologische Dimension und die zweite die erkenntnistheoretische Dimension der Offenbarung darstellen. Dies führte dazu, daß er der Lehre von Pius X widerssprach, der in der Erklärung Lamentabili (1907) das Sant´ Uffizio verkünden ließ, daß die Offenbarung mit dem Tod des letzten Apostels beendet ist.
Laut Ratzinger geht es bei der Tradition nicht um die mündliche Weitergabe offenbarten Wissens, das in der Bibel nicht vorhanden ist, wie die These der beiden Quellen behauptet, denn in diesem Fall wäre der christliche Glaube durch den Gnostizismus gefärbt, der für häretische Traditionen charakteristisch ist. Tradition wird nicht als "mechanische Übertragung“, sondern als "dynamischer Prozess“ verstanden, sie ist keine externe Quelle in Bezug auf die Heilige Schrift, sondern liegt in der Heiligen Schrift selbst auf der Grundlage der der Kirche übermittelten Interpretationsmacht (S. 37). Hier tritt die Hermeneutik zutage, wonach sich die Heilige Schrift auf das bezieht, was einmal in der Geschichte geschehen und immer gültig ist (ontologischer Aspekt), während die Tradition die lebendige Gegenwart des Glaubens verkörpert (gnoseologischer Aspekt). Auf diese Weise betrifft die Offenbarung nicht nur die Vergangenheit, sondern auch die Zukunft.
Diese Sichtweise weist der Hermeneutik eine essentielle Rolle zu. Die Offenbarung -wie sie in Dei Filius des I. Vaticanums verstanden wird, ist laut Ratzinger zu intellektuell und doktrinär indem sie die Offenbarung als eine Wiedergabe von Nachrichten und Wahrnehmungen versteht. Der Glaube steht über der Schrift und das ist genau das, woraus die Tradition besteht, die "immer Interpretation" ist (S. 41) Die Offenbarung steht über den offenbarten Wahrheiten, weil sie sich auf das Ereignis Jesu konzentriert und eine "grundlegende hermeneutische Entscheidung“ beinhaltet, bei der „der Prozess des Verstehens nicht klar von dem, was verstanden wird, unterscheidbar ist“ (S. 44). Kann man auf diese Weise nicht einer "willkürlichen Kreativität“ verfallen, fragt Gagliardi? Der Autor entgegnet, daß dies laut Ratzinger nicht der Fall sei, weil der konzeptionelle Aspekt nicht geleugnet werde, sondern lediglich bedeutet, daß er nicht isoliert im Hinblick auf die Interpretation des Apostolischen Glaubensbekenntnisses auf der Grundlage des Glaubens betrachtet wird. .
An diesem Punkt entsteht das Problem der sogenannten Entwicklung der Lehre. Angesichts der zentralen Bedeutung der Hermeneutik sagt Ratzinger, daß das „Dogma die kirchliche Form der Hermeneutik der Heiligen Schrift ist“ (S. 51), und angesichts seiner dynamischen Vision der Tradition spricht er von der Historizität des Dogmas. Die Tradition als einer der beiden Offenbarungsströme ist keine separate Quelle, sondern die wahre Hermeneutik der Heiligen Schrift, und aus diesem Grund kann nicht angenommen werden, daß sie mit dem Tod des letzten Apostels endete (S. 53). Erfahrung ist ein grundlegender Teil der Offenbarung, denn Tradition ist die lebendige Darstellung der von der Heiligen Schrift übermittelten Botschaft in der Gegenwart, und die Heilige Schrift kann nur in der Erfahrung des Glaubens Offenbarung sein (S. 61). Indem Ratzinger sich einer rein intellektuellen Glaubensauffassung widersetzt, geht es ihm jedoch nicht darum, die Erfahrung über alle Maßen zu verherrlichen, wie es Karl Rahner getan hätte, der jeden Akt des existenziellen Glaubens als solchen betrachtete und die Lehre vom "anonymen Christentum“ ablehnte. " Ratzinger, der die Theologie als „hermeneutische Wissenschaft“ versteht, hältan beiden Metaphysiken gegenüber liberaler Theologie und Erfahrung fest, die nicht im beschreibenden Sinne zu verstehen sind (S. 66). Die beiden der Theologie als Hermeneutik eigenen Dimensionen von Objekt und Subjekt leben in der Kirche zusammen: "... das neue, große Subjekt, in dem Vergangenheit und Gegenwart, Subjekt und Objekt einander berühren“ (S. 70). In seiner Ansprache im College des Bernardins am 12. September 2008 erklärte er: "Die Schrift braucht Interpretation, und sie braucht die Gemeinschaft, in der sie entstanden ist und in der sie gelebt wird. In ihr hat sie ihre Einheit, und in ihr offenbart sich die.“ Bedeutung, die das Ganze zusammenhält“ (S. 88).
Laut Ratzinger bedeutet der Ausdruck "Historizität des Dogmas“, ein Konzept, das sich aus seiner Idee ergibt, daß Tradition Interpretation ist, weder, daß ständige Interpretation den dogmatischen Inhalt des Apostolischen Glaubensbekenntnisses ändern kann, noch daß die Worte der Heiligen Schrift geändert werden können. Er denkt, daß es eine immer neue Interpretation der Heiligen Schrift geben muss. Glaube ist der Text und Theologie ist die Interpretation (S. 74). Das bedeutet, "nochmals zu sagen, was die Bibel sagt“ (S. 83). Es geht nicht darum, zu "modernisieren“, indem man Ideen, die heute in Mode sind, den Vorrang einräumt.
Mit diesem Denken misst sich Ratzinger am philosophischen Aspekt der Hermeneutik, deren Errungenschaften seiner Meinung nach nicht übersehen werden dürfen (S. 109). Ratzinger sagt, daß "die Schrift durch die Tradition interpretiert wird und das Subjekt der Tradition die Kirche ist“ (S. 110) und daß der Glaube der Kirche das absolut notwendige Verständnis ist, um wirklich in den Text einzudringen; Nur in einer persönlichen Beziehung zu Jesus kann der Gläubige den Jesus kennen lernen, "der in den Texten von vor zweitausend Jahren geschrieben steht“ (S. 92). Er stellt außerdem fest, daß "Erklärung als Prozess des Verstehens nicht klar vom Verstandenen zu unterscheiden ist“ (S. 124). Das ist ein Satz, den auch Heidegger, Gadamer oder Levinas teilen würden. Die zeitgenössische philosophische Hermeneutik ersetzt jedoch die Metaphysik und ist daher nicht mehr Wissen, sondern nur Interpretation. Das Subjekt ist in der Interpretation eingeschlossen, weil es im Interpretierten auch den selbst gibt, der interpretiert. Die Tradition des metaphysischen Realismus wäre diesem Weg nicht gefolgt, den Ratzinger verfolgt, um ein gesundes Gleichgewicht zwischen Metaphysik und Geschichte zu gewährleisten und sich, wie einige bemerkt haben, auch zunehmend dem Heiligen Thomas anzunähern, wobei aber seine Beziehung zu modernen Version der Hermeneutik und ihren Implikationen nicht immer vollständig geklärt ist.
Die Auswirkungen dieses Problems gehen beispielsweise aus einigen kritischen Bewertungen der Hermeneutik der Reform in Kontinuität hervor, die Benedikt XVI. in seiner Ansprache an die Römische Kurie im Dezember 2005 zum Ausdruck brachte. Gagliardi spricht, wie bereits erwähnt, nicht darüber, dennoch erlaube ich mir einen kurzen Hinweis. Einige Kommentatoren haben festgestellt, daß in der Formulierung "der Reform in der Kontinuität der einen Subjektkirche“ nicht die Kontinuität des Lehrinhalts erwähnt wird, sondern nur die Kontinuität des Subjekts. Die Abhängigkeit dieses Ansatzes von der allgemeinen Struktur von Ratzingers Theologie ist klar: Es gibt keine Heilige Schrift ohne Tradition und ohne Kirche, die Inhalte sind solche nur innerhalb der Subjektkirche. Der Begriff der Tradition als Vermittlung von Inhalten ist nicht ausgeschlossen, wird aber als zweitrangig angesehen (S. 115), weil der Offenbarungsbegriff auch das Subjekt einschließt, das im Glauben Offenbarung empfängt: Es bedarf einer festen Lehre, aber auch einer existenziellen Dimension von Glauben. Die Offenbarung hat Vorrang vor dem depositum fidei (S. 118). Damit kehren wir zu Ratzingers jugendlichem Widerstand gegen die Lehre von den beiden Offenbarungsquellen zurück, als er leugnete, daß die mündliche Überlieferung einen eigenen materiellen Inhalt habe, und behauptete, daß "es keine einzelnen Wahrheiten gibt, die es als solche, angefangen bei den Aposteln, von der Kirche weitergegeben wurden.“ (S. 121).
Auf dieser Grundlage kann man sagen, daß der inhaltliche Aspekt der Kontinuität existiert, aber er liegt innerhalb der Hermeneutik der Kirche. Allerdings könnte man dieser These vorwerfen, daß sie der modernen Hermeneutik zu viel zugestanden hat, so daß die Bekräftigung der Hermeneutik des Zweiten Vatikanischen Konzils ohnehin zu subjektiv wäre; Und die Hermeneutik bliebe nur eine Interpretation ausgehend von einem "Vorverstehen“ und nicht wahres Wissen. Das Thema wirft auch die Überlegung über den Platz auf, den das Lehramt einnimmt. Wenn Tradition Interpretation ist, ist das dann auch das Lehramt, aber was das Lehramt lehrt, gehört dann auch zur Offenbarung? Nachdem klar geworden ist, daß die Aufgabe des Lehramtes nicht darin besteht, den Glauben nach der Mode des Augenblicks zu "aktualisieren“, sondern ihn so zum Ausdruck zu bringen, wie er es schon immer und für immer war, muss noch geklärt werden, ob das Offenbarung genannt werden kann."
Quelle: S. Fontana, LNBQ
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