Dienstag, 2. April 2024

Papst Franziskus und "seine" Kirche

in seiner gestrigen Kolumne für Monday at the Vatican kommentiert A. Gagliarducci die von Papst Franziskus postulierte "hinausgehende Kirche" und vergleicht sie mit der Realität des aktuellen Pontifikates Hier geht ´s zum Original:  klicken

"PAPST FRANZISKUS UND SEINE KIRCHE, DIE HINAUSGEHT" 

Papst Franziskus hat die Messa in Coena Domini am Gründonnerstag in der Frauen-Abteilung des Rebibia-Gefängnisses zelebriert. Es war eine Messe mit einer gewissen Feierlichkeit, Zeugnis für eine Tatsache, die nicht unterschätzt werden sollte Papst Franziskus legt großen Wert auf eine feierliche liturgische Form, wenn er bei den Marginalisierten, Armen und den Geringsten ist, und viel weniger, wenn es um Handlungen im institutionellen Kontext geht. 

In der vergangenen Woche hat Papst Franziskus seine erneuerte Kraft auf jede Weise demonstriert. Aber nachdem er am Palmsonntag die Predigt nicht hielt- er war in diesem Moment wahrscheinlich müde, weil er stattdessen am selben Tag die gesamte Angelus-Katechese vorlas - tauchte der Papst am Gründonnerstag ohne Stock und Stuhl auf. 

Auf Rädern war er bei der Generalaudienz am Mittwoch, las persönlich den Text vor, den er vorige Woche anderen zu lesen gegeben hatte. Am Gründonnerstag las er die gesamte Predigt der Chrisam Messe. Dann gab es die Messe im Frauengefängnis, die zu den wenigen in den 11 Jahren seines Pontifikates gehörte, die live direkt in voller Länge übertragen wurde.

Wenn man zynisch sein wollte, würde man denken, daß der Papst alles tut, um jeden möglichen Verdacht an eine schwächende oder -auf jeden Fall-andauernde Krankheit abzuwehren. Er ist kein Papst, der loslässt, das steht fest, und das zeigt auch die Tatsache, daß er für Anfang September an eine große Reise nach Asien denkt – etwa zehn Tage, durch Papua-Neuguinea, Indonesien, Osttimor , Singapur und vielleicht sogar Vietnam.

Allerdings macht Papst Franziskus nicht nur seinen Kritikern klar, daß er bis zum Schluss im Sattel bleiben will und daß es ihm gesundheitlich besser geht, als man glauben möchte. Papst Franziskus vollzieht einen politischen Akt, der sich mit seinem gesamten Pontifikat deckt.

Papst Franziskus sagt in Gedanken, Worten und Taten, aber ohne Auslassungen, daß die Kirche, auf die er sich bezieht, die Kirche des Volkes ist, nicht die der Kurie oder der Institutionen. Wenn er über die hinausgehende Kirche spricht, sagt er genau das. Und wenn er sagt, daß die Kardinäle sein Regierungsprogramm gefordert hätten, verweist er auf die Tatsache, daß seine Rede über die hinausgehende Kirche – damals auf nicht ganz rituelle Weise veröffentlicht, aber vom Papst selbst erlaubt wurde– viel Beifall und Anerkennung gefunden hatte.

Papst Franziskus Argumentation ist linear: wenn den Kardinälen diese Rede gefiel, müssten sie auch seiner Art zustimmen, wie er arbeitet, um zu dieser Idee der hinausgehenden Kirche zu gelangen.

Es ist das erste Mal, daß wir einem südamerikanischen und jesuitischen Papst gegenüberstehen. Viele seiner Codes müssen noch entschlüsselt und verstanden werden, und sie haben möglicherweise eine andere Bedeutung als gemeinhin bei der Analyse der Kirche angenommen wird.

Papst Franziskus kommt aus dem globalen Süden und spricht zum globalen Süden. Er kommt aus einer Hemisphäre, die sich von der westlichen Welt ausgebeutet und verunglimpft fühlt. Eine westliche Welt – unter anderem – die aus Profitgründen Kriege schürt und keinen Frieden schließen kann.

Aus diesem Grund kann Papst Franziskus den Krieg in der Ukraine nicht anders interpretieren als mit der Notwendigkeit, den Krieg selbst zu beenden, koste es, was es wolle. Die Gründe für das eine oder andere sind irrelevant, weil sie lediglich als Teil eines Stellvertreterkrieges betrachtet werden, in dem zwei Supermächte aufeinanderprallen.


Zwischen den Vereinigten Staaten und Russland blickt Papst Franziskus mit mehr Sympathie auf Russland. In gewissem Sinne besteht das kulturelle Problem darin, daß Russland als kulturelle Wiege gilt, umso mehr in einer Welt, die fest im Sozialismus verwurzelt ist, wie im globalen Süden. Allerdings ist es auch eine persönliche Frage, denn die Vereinigten Staaten werden als versteckter Kolonisator wahrgenommen, der bis zur Erschöpfung Einfluss auf Regierungen ausübte.

Nur wenn man sich dieses problematische Verhältnis zu den Vereinigten Staaten und die Mentalität der USA anschaut – die Papst Franziskus nie ganz verstanden hat – kann man verstehen, warum Papst Franziskus Russland als seinen ersten Gesprächspartner betrachtete, selbst als Russland die Ukraine angegriffen hat. Wir können mehr mit Russland reden als mit den Vereinigten Staaten oder ihren Verbündeten; das ist die Mentalität von Papst Franziskus.

Wenn man all diese Gründe hinzufügt, ist es leicht zu erkennen, daß Papst Franziskus in erster Linie an die persönliche Versöhnung glaubt und möchte, daß sich die Menschen versöhnen, indem er ihre Herrscher zum Frieden zwingt. Aus dieser Idee der Versöhnung geht die Entscheidung hervor, im Jahr 2022 während der Via Crucis am Kolosseum eine Russin und eine Ukrainerin das Kreuz tragen zu lassen, fast eine Zumutung der Vergebung für die Ukrainer, die heftig protestierten. Die gleiche Idee der Versöhnung führte dazu, daß für die Kreuzweg-Meditationen 2023 im Kolosseum eine Reihe vereinzelter Zeugnisse über den Krieg gesammelt wurden – eine Möglichkeit, Proteste zu vermeiden und das Hindernis möglicher Proteste und Kontroversen zu umgehen.

Papst Franziskus hat beschlossen, dieses Jahr alles selbst zu schreiben, und die Texte kamen erst im letzten Moment. Auch in diesem Fall ist das nichts Neues. Papst Franziskus mag keine Kritik und Kontroversen und stellt lieber jeden vor vollendete Tatsachen, wenn er seine eigenen Entscheidungen getroffen hat. Von ihnen gibt es kein Zurück mehr

Es ist eine Haltung, die den zweiten Teil der außergewöhnlichen Natur von Papst Franziskus bildet: südamerikanisch und vor allem argentinisch. Weil der Papst unter der argentinischen Diktatur lebte und weiß, daß diese immer wieder zurückkehren kann, wird nicht die nötige Wachsamkeit ausgeübt.

Kurz gesagt: was ist die hinausgehende Kirche von Papst Franziskus?

Es ist die solidarische Kirche an vorderster Front, die keine Angst hat, sich auf die Seite der Armen zu stellen. Auch Institutionen müssen sich anpassen, um diese Vision der Welt konkret werden zu lassen.

Papst Franziskus´ Kirche ist eine hinausgehende Kirche, die keine Angst davor hat, ihren Standpunkt in Entscheidungen einfließen zu lassen. Tatsächlich werden Entscheidungen zentralisiert, obwohl in den letzten Jahren eine bedeutende Kampagne stattgefunden hat, in der es um Dezentralisierung und Synodalität ging.

Papst Franziskus nahm die Situation jedoch selbst in die Hand, was über die jeder Kirche garantierte Unabhängigkeit oder Subsidiarität hinausging. Papst Franziskus entscheidet, wann er harte Widerstände beseitigen will oder wann Harmonie herrscht, die so weit geht, daß niemand seine Entscheidung in Frage stellt.

Dies ist die hinausgehende Kirche von Papst Franziskus, und jedes Mal, wenn der Papst neue Entscheidungen verkündet, muss man sich daran erinnern."

Quelle: A. Gagliarducci, Monday at the Vatican

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