Der Hl. Stuhl hat anläßlich des 100-jährigen Bestehens des Päpstlichen Institues für Christliche Archäologie das neue Apostolische Schreiben "Nel Centenario"zur Bedeutung der Christlichen Archäologie veröffentlicht. Hier geht´s zum Original: klicken
"WORTLAUT DES APOSTOLISCHEN SCHREIBEN "NEL CENTENARIO" PAPST LEOS XIV ZUR CHRISTLICHEN ARCHÄOLOGIE"
ÜBER DIE BEDEUTUNG DER ARCHÄOLOGIE
ANLÄSSLICH DES HUNDERTJÄHRIGEN BESTEHENS
DES PÄPSTLICHEN INSTITUTS FÜR CHRISTLICHE ARCHÄOLOGIE
Anlässlich des hundertsten Jahrestages der Gründung des Päpstlichen Instituts für Christliche Archäologie empfinde ich es als meine Pflicht und Freude, einige Überlegungen zu teilen, die ich für den Weg der Kirche in unserer Zeit für wichtig halte. Ich tue dies mit dankbarem Herzen, in dem Bewusstsein, dass die Erinnerung an die Ve rgangenheit, erleuchtet durch den Glauben und geläutert durch die Liebe, die Hoffnung nährt.
Im Jahr 1925 wurde das „Heilige Jahr des Friedens” ausgerufen, das die grausamen Wunden des Ersten Weltkriegs lindern sollte; und es ist bezeichnend, dass der hundertste Jahrestag der Gründung des Instituts mit einem weiteren Heiligen Jahr zusammenfällt, das der unter zahlreichen Kriegen leidenden Menschheit auch heute Perspektiven der Hoffnung geben will.
Unsere Zeit, die von raschen Veränderungen, humanitären Krisen und kulturellen Umbrüchen geprägt ist, erfordert neben dem Rückgriff auf altes und neues Wissen auch die Suche nach einer tiefen Weisheit, die in der Lage ist, das wirklich Wesentliche zu bewahren und an die Zukunft weiterzugeben. Unter diesem Blickwinkel möchte ich erneut betonen, wie sehr die Archäologie ein unverzichtbarer Bestandteil für das Verständnis des Christentums und folglich auch für die katechetische und theologische Bildung ist. Sie ist nicht bloß eine Fachdisziplin, die wenigen Experten vorbehalten ist, sondern ein Weg, der allen offensteht, die die konkrete Gestaltwerdung des Glaubens in der Zeit, an einzelnen Orten und in den Kulturen verstehen wollen. Für uns Christen ist die Geschichte ein entscheidendes Fundament: Wir vollziehen die Pilgerreise unseres Lebens nämlich in der ganz konkreten Geschichte, die auch der Ort ist, an dem sich das Geheimnis der Erlösung vollzieht. Jeder Christ ist gerufen, sein Leben auf die Frohe Botschaft zu gründen, die von der geschichtlichen Menschwerdung des Wortes Gottes ausgeht (vgl. Joh 1,14).
Wie uns der geliebte Papst Franziskus in Erinnerung gerufen hat, kann niemand »wirklich wissen, wer er ist und was er morgen sein will, ohne das Band zu pflegen, das ihn mit den Generationen verbindet, die ihm vorausgegangen sind. Und das gilt nicht nur hinsichtlich der Geschichte der Einzelnen, sondern auch für die weitere Ebene der Gemeinschaft. Das Studium und die Weitergabe der Geschichte tragen nämlich dazu bei, das kollektive Bewusstsein lebendig zu erhalten. Ansonsten bleibt nur die persönliche Erinnerung an Sachverhalte, die mit dem eigenen Interesse oder den eigenen Gefühlen zu tun haben, ohne echte Verbindung zu der menschlichen und kirchlichen Gemeinschaft, in der wir leben.«[1]
Das Haus der Archäologie
Mit dem Motu Proprio „I primitivi cemeteri” vom 11. Dezember 1925 billigte Papst Pius XI. ein anspruchsvolles und weitsichtiges Projekt: die Gründung einer Hochschuleinrichtung, also mit Promotionsrecht, die in Abstimmung mit der Kommission für Sakrale Archäologie und der Römischen Päpstlichen Akademie der Archäologie die Aufgabe haben sollte, mit einem Höchstmaß an Wissenschaftlichkeit die Denkmäler des frühen Christentums zu erforschen, um das Leben der ersten Gemeinden zu rekonstruieren und »auf diese Weise Professoren für christliche Archäologie an Universitäten und in Seminaren, Ausgrabungsleiter, Konservatoren für sakrale Denkmäler, Museen usw. auszubilden«. [2] Aus der Sicht von Pius XI. ist die Archäologie für die genaue Rekonstruktion der Geschichte unverzichtbar, die als »Licht der Wahrheit und Zeugin der Zeit, wenn sie in rechter Weise zu Rate gezogen und sorgfältig geprüft wird«, [3] den Völkern die Fruchtbarkeit der christlichen Wurzeln und die Früchte des Gemeinwohls, die daraus hervorgehen können, aufzeigt und damit auch das Werk der Evangelisierung beglaubigt.
In all diesen Jahren hat das Päpstliche Institut für Christliche Archäologie Hunderte von Archäologen für das frühe Christentum ausgebildet, die wie die Professoren selbst aus allen Teilen der Welt stammen und die nach ihrer Rückkehr in ihre Heimatländer wichtige Funktionen in der Lehre oder im Denkmalschutz übernommen haben. Es hat Forschungen in Rom und im gesamten christlichen Raum unterstützt; es hat bei der Förderung der christlichen Archäologie eine wichtige Rolle auf internationaler Ebene gespielt, sowohl durch die Organisation regelmäßiger Kongresse und zahlreiche weitere wissenschaftliche Initiativen als auch durch enge Beziehungen und einen kontinuierlichen Austausch mit Universitäten und Forschungszentren in der ganzen Welt.
Das Institut hat sich bisweilen als Förderer des Friedens und des religiösen Dialogs erwiesen, beispielsweise durch die Organisation des XIII. Internationalen Kongresses in Split während des Krieges im ehemaligen Jugoslawien oder dadurch, dass es seine Wirksamkeit durch Auslandsmissionen in politisch instabilen Ländern bestätigte. Es ist nie von den akademischen Bildungszielen abgewichen, wobei es den direkten Kontakt zu schriftlichen Quellen und Denkmälern, den sichtbaren und eindeutigen Spuren der ersten christlichen Gemeinden, in den Vordergrund gestellt hat: durch Exkursionen, insbesondere zu den Katakomben und Kirchen Roms, sowie durch die jährlichen Studienreisen in diejenigen geografischen Gegenden, in denen sich das Christentum ausgebreitet hat.
Als es die Anforderungen der Lehre und Vorgaben von außen notwendig machten, insbesondere in den letzten Jahren mit dem vom Heiligen Stuhl unterzeichneten Bologna-Prozess zur Schaffung eines einheitlichen Hochschulsystems in Europa, hat das Institut seine Fachrichtungen und Ausbildungsgänge aktualisiert, ohne dabei je von den Zielen und dem Geist seiner Gründer abzuweichen. Es ist weiterhin in die Fußstapfen der Begründer der christlichen Archäologie getreten, insbesondere von Giovanni Battista de Rossi, jenem »unermüdliche[n] Wissenschaftler, der die Grundlagen schuf für eine wissenschaftliche Disziplin«.[5][] Ihm verdanken wir in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts die Entdeckung eines Großteils der christlichen Friedhöfe rund um die römischen Stadtmauern sowie die Erforschung der Verehrungsstätten der Märtyrer aus den Verfolgungszeiten, insbesondere derer unter Decius, Valerian und Diokletian, und ihrer Entwicklung seit der Zeit Konstantins, die bis ins Hochmittelalter hinein immer mehr Pilger anzogen.
Dies war ein Dienst an der Kirche, die sich auf das Institut als Förderer des Wissens über die materiellen Zeugnisse des Urchristentums und über die Märtyrer verlassen konnte, die heute noch Beispiele für einen strahlenden und mutigen Glauben sind. Der Dienst des Instituts war auch praktischer Natur, da es an den von der Dombauhütte von Sankt Peter durchgeführten Ausgrabungen am Grab des Apostels Petrus unter dem Confessio-Altar im Petersdom sowie in jüngerer Zeit an den von den Vatikanischen Museen durchgeführten Untersuchungen in Sankt Paul vor den Mauern beteiligt war.
Archäologie als Schule der Inkarnation
Heute dürfen wir uns fragen: Von welchem Nutzen kann der Beitrag der christlichen Archäologie für die Gesellschaft und die Kirche im Zeitalter der künstlichen Intelligenz und der Erforschung der unendlichen Weiten des Universums noch sein?Ohne das Verständnis der Orte und materiellen Spuren, die vom Glauben der ersten Jahrhunderte zeugen, kann man die christliche Theologie nicht vollständig begreifen. Es ist kein Zufall, dass der Evangelist Johannes seinen ersten Brief mit so etwas wie einer Erklärung zur Sinneswahrnehmung beginnt: »Was von Anfang an war, was wir gehört, was wir mit unseren Augen gesehen, was wir geschaut und was unsere Hände angefasst haben vom Wort des Lebens« (1 Joh 1,1). Die christliche Archäologie ist in gewisser Weise eine Antwort, die sich diesen Worten verpflichtet weiß. Sie möchte das fleischgewordene Wort berühren, sehen, hören. Nicht um beim Sichtbaren stehen zu bleiben, sondern um sich zu jenem Geheimnis führen zu lassen, das sich dahinter verbirgt.
Die Archäologie, die sich mit den materiellen Spuren des Glaubens befasst, vermittelt eine Theologie der Sinne: eine Theologie, die sehen, berühren, riechen und hören kann. Die christliche Archäologie lehrt uns diese Sensibilität. Indem sie zwischen Steinen, Ruinen und Gegenständen gräbt, lehrt sie uns, dass nichts, was mit dem Glauben in Berührung gekommen ist, unbedeutend ist. Selbst ein Mosaikfragment, eine vergessene Inschrift, eine Graffitischrift an einer Katakombenwand können die Biografie des Glaubens erzählen. In diesem Sinne ist die Archäologie auch eine Schule der Demut: Sie lehrt uns, das Kleine, das scheinbar Nebensächliche nicht zu verachten. Sie lehrt uns, die Zeichen zu lesen, die Stille und das Rätsel der Dinge zu deuten, das zu erahnen, was nicht mehr geschrieben steht. Sie ist eine Grenzwissenschaft, die zwischen Geschichte und Glauben, zwischen Materie und Geist, zwischen dem Alten und dem Ewigen steht.
Wir leben in einer Zeit, in der Verbrauch und Konsum Vorrang vor Bewahrung und Respekt haben. Die Archäologie lehrt uns hingegen, dass auch das kleinste Zeugnis Beachtung verdient, dass jede Spur einen Wert hat, dass nichts weggeworfen werden darf. In diesem Sinne ist sie eine Schule kultureller Nachhaltigkeit und geistlicher Ökologie. Sie erzieht zum Respekt vor der Materie, der Erinnerung, der Geschichte. Der Archäologe wirft nicht einfach weg, sondern bewahrt auf. Er konsumiert nicht, sondern betrachtet. Er zerstört nicht, sondern entschlüsselt. Sein Blick ist geduldig, genau, respektvoll. Es ist jener Blick, der in einem Stück Keramik, in einer verrosteten Münze, in einer verschlissenen Gravur den Atem einer Epoche, den Sinn eines Glaubens, die Stille eines Gebets zu erkennen vermag. Es ist ein Blick, von dem auch die heutige Seelsorge und Katechese viel lernen kann.Andererseits ermöglichen modernste technologische Instrumente es, neue Informationen aus Fundstücken zu gewinnen, die einst als unbedeutend galten. Dies erinnert uns daran, dass nichts wirklich nutzlos oder verloren ist. Auch das, was nebensächlich zu sein scheint, kann im Lichte neuer Fragestellungen und Methoden eine tiefe Bedeutung erlangen. In dieser Hinsicht ist die Archäologie auch eine Schule der Hoffnung.In den Anwendungsbestimmungen der Apostolischen Konstitution Veritatis gaudium heißt es, dass die Archäologie zusammen mit der Kirchengeschichte und der Patrologie zu den Grundlagenfächern in der theologischen Ausbildung gehören muss. [7]
Der Beruf des Archäologen ist ein in hohem Maße „haptischer“ Beruf. Archäologen sind die ersten, die nach Jahrhunderten vergrabenes Material berühren, das die Kraft der Zeit in sich birgt. Die Aufgabe des christlichen Archäologen beschränkt sich jedoch nicht auf das Materielle, sondern geht darüber hinaus und umfasst das Menschliche. Er untersucht nicht nur die Fundstücke, sondern auch die Hände, die sie geformt haben, die Köpfe, die sie erdacht haben, und die Herzen, die sie geliebt haben. Hinter jedem Gegenstand steht eine Person, eine Seele, eine Gemeinschaft. Hinter jeder Ruine steckt eine Vorstellung von Glauben, eine Liturgie, eine Beziehung. Die christliche Archäologie ist daher auch eine Form der Nächstenliebe: Sie ist eine Möglichkeit, das Schweigen der Geschichte zum Sprechen zu bringen, denjenigen Würde zurückzugeben, die in Vergessenheit geraten sind, die namenlose Heiligkeit so vieler Gläubiger, die die Kirche geformt haben, wieder ans Licht zu bringen.
Archäologie als Schule der Inkarnation
Heute dürfen wir uns fragen: Von welchem Nutzen kann der Beitrag der christlichen Archäologie für die Gesellschaft und die Kirche im Zeitalter der künstlichen Intelligenz und der Erforschung der unendlichen Weiten des Universums noch sein?Das Christentum ist nicht aus einer Idee, sondern aus dem Fleisch entstanden; nicht aus einem abstrakten Konzept, sondern aus einem Schoß, aus einem Körper, aus einem Grab. Der christliche Glaube ist in seinem authentischsten Kern historisch: Er gründet auf konkreten Ereignissen, auf Gesichtern, auf Gesten, auf Worten, die in einer Sprache, in einer gewissen Zeit, in einem Umfeld gesprochen wurden. [6] Die Archäologie macht dies sichtbar und anfassbar. Sie erinnert uns daran, dass Gott sich entschieden hat, in einer menschlichen Sprache zu sprechen, in einer Gegend unterwegs zu sein, an Orten, in Häusern, in Synagogen und auf Straßen zugegen zu sein.
Ohne das Verständnis der Orte und materiellen Spuren, die vom Glauben der ersten Jahrhunderte zeugen, kann man die christliche Theologie nicht vollständig begreifen. Es ist kein Zufall, dass der Evangelist Johannes seinen ersten Brief mit so etwas wie einer Erklärung zur Sinneswahrnehmung beginnt: »Was von Anfang an war, was wir gehört, was wir mit unseren Augen gesehen, was wir geschaut und was unsere Hände angefasst haben vom Wort des Lebens« (1 Joh 1,1). Die christliche Archäologie ist in gewisser Weise eine Antwort, die sich diesen Worten verpflichtet weiß. Sie möchte das fleischgewordene Wort berühren, sehen, hören. Nicht um beim Sichtbaren stehen zu bleiben, sondern um sich zu jenem Geheimnis führen zu lassen, das sich dahinter verbirgt.
Die Archäologie, die sich mit den materiellen Spuren des Glaubens befasst, vermittelt eine Theologie der Sinne: eine Theologie, die sehen, berühren, riechen und hören kann. Die christliche Archäologie lehrt uns diese Sensibilität. Indem sie zwischen Steinen, Ruinen und Gegenständen gräbt, lehrt sie uns, dass nichts, was mit dem Glauben in Berührung gekommen ist, unbedeutend ist. Selbst ein Mosaikfragment, eine vergessene Inschrift, eine Graffitischrift an einer Katakombenwand können die Biografie des Glaubens erzählen. In diesem Sinne ist die Archäologie auch eine Schule der Demut: Sie lehrt uns, das Kleine, das scheinbar Nebensächliche nicht zu verachten. Sie lehrt uns, die Zeichen zu lesen, die Stille und das Rätsel der Dinge zu deuten, das zu erahnen, was nicht mehr geschrieben steht. Sie ist eine Grenzwissenschaft, die zwischen Geschichte und Glauben, zwischen Materie und Geist, zwischen dem Alten und dem Ewigen steht.
Wir leben in einer Zeit, in der Verbrauch und Konsum Vorrang vor Bewahrung und Respekt haben. Die Archäologie lehrt uns hingegen, dass auch das kleinste Zeugnis Beachtung verdient, dass jede Spur einen Wert hat, dass nichts weggeworfen werden darf. In diesem Sinne ist sie eine Schule kultureller Nachhaltigkeit und geistlicher Ökologie. Sie erzieht zum Respekt vor der Materie, der Erinnerung, der Geschichte. Der Archäologe wirft nicht einfach weg, sondern bewahrt auf. Er konsumiert nicht, sondern betrachtet. Er zerstört nicht, sondern entschlüsselt. Sein Blick ist geduldig, genau, respektvoll. Es ist jener Blick, der in einem Stück Keramik, in einer verrosteten Münze, in einer verschlissenen Gravur den Atem einer Epoche, den Sinn eines Glaubens, die Stille eines Gebets zu erkennen vermag. Es ist ein Blick, von dem auch die heutige Seelsorge und Katechese viel lernen kann.
Andererseits ermöglichen modernste technologische Instrumente es, neue Informationen aus Fundstücken zu gewinnen, die einst als unbedeutend galten. Dies erinnert uns daran, dass nichts wirklich nutzlos oder verloren ist. Auch das, was nebensächlich zu sein scheint, kann im Lichte neuer Fragestellungen und Methoden eine tiefe Bedeutung erlangen. In dieser Hinsicht ist die Archäologie auch eine Schule der Hoffnung.
In den Anwendungsbestimmungen der Apostolischen Konstitution Veritatis gaudium heißt es, dass die Archäologie zusammen mit der Kirchengeschichte und der Patrologie zu den Grundlagenfächern in der theologischen Ausbildung gehören muss. [7] Es handelt sich also nicht um bloßes Beiwerk, sondern um ein grundlegendes pädagogisches Prinzip: Wer Theologie studiert, muss wissen, woher die Kirche kommt, wie sie gelebt hat und welche Formen der Glaube im Laufe der Jahrhunderte angenommen hat. Die Archäologie informiert uns nicht nur über Dinge, sondern über Menschen: über ihre Häuser, ihre Gräber, ihre Kirchen, ihre Gebete. Sie erzählt uns vom Alltagsleben der ersten Christen, von den Gottesdienstorten, von den Formen der Verkündigung. Sie sagt uns, wie der Glaube Räume, Städte, Landschaften und Denkweisen geprägt hat. Und sie hilft uns zu verstehen, wie die Offenbarung in der Geschichte konkrete Gestalt angenommen hat, wie das Evangelium innerhalb der Kulturen zu Worten und Formen gefunden hat. Eine Theologie, die die Archäologie ignoriert, läuft Gefahr, entleiblicht, abstrakt und ideologisch zu werden. Eine Theologie hingegen, die die Archäologie als Verbündete annimmt, ist eine Theologie, die auf den Leib der Kirche hört, seine Wunden erforscht, seine Zeichen deutet und sich von seiner Geschichte berühren lässt.
Der Beruf des Archäologen ist ein in hohem Maße „haptischer“ Beruf. Archäologen sind die ersten, die nach Jahrhunderten vergrabenes Material berühren, das die Kraft der Zeit in sich birgt. Die Aufgabe des christlichen Archäologen beschränkt sich jedoch nicht auf das Materielle, sondern geht darüber hinaus und umfasst das Menschliche. Er untersucht nicht nur die Fundstücke, sondern auch die Hände, die sie geformt haben, die Köpfe, die sie erdacht haben, und die Herzen, die sie geliebt haben. Hinter jedem Gegenstand steht eine Person, eine Seele, eine Gemeinschaft. Hinter jeder Ruine steckt eine Vorstellung von Glauben, eine Liturgie, eine Beziehung. Die christliche Archäologie ist daher auch eine Form der Nächstenliebe: Sie ist eine Möglichkeit, das Schweigen der Geschichte zum Sprechen zu bringen, denjenigen Würde zurückzugeben, die in Vergessenheit geraten sind, die namenlose Heiligkeit so vieler Gläubiger, die die Kirche geformt haben, wieder ans Licht zu bringen.
Erinnern, um zu evangelisieren
Seit den Anfängen des Christentums spielt die Erinnerung bei der Verkündigung des Evangeliums eine entscheidende Rolle. Es geht dabei nicht um ein einfaches Gedenken, sondern um eine lebendige Vergegenwärtigung des Heils. Die ersten christlichen Gemeinschaften bewahrten zusammen mit den Worten Jesu auch die Orte, Gegenstände und Zeichen seiner Gegenwart. Das leere Grab, das Haus des Petrus in Kafarnaum, die Gräber der Märtyrer, die römischen Katakomben: All dies trug dazu bei, zu bezeugen, dass Gott wirklich in die Geschichte eingetreten war und dass der Glaube keine Philosophie war, sondern ein konkreter Weg in der leibhaftigen Welt.
Papst Franziskus schrieb: »In den Katakombenanlagen […] finden sich die vielen Zeichen der christlichen Pilgerschaft der Anfänge: Ich denke zum Beispiel an die sehr wichtigen Graffiti der sogenannten Triclia in der Katakombe des heiligen Sebastian: die Memoria Apostolorum, wo die Reliquien der Apostel Petrus und Paulus gemeinsam verehrt wurden. Außerdem entdecken wir auf diesen Wegen die ältesten christlichen Symbole und Abbildungen, die Zeugnis geben von der christlichen Hoffnung. In den Katakomben spricht alles von Hoffnung, alles spricht vom Leben über den Tod hinaus, von der Befreiung aus Gefahren und vom Tod durch das Wirken Gottes, der uns in Christus, dem Guten Hirten, ruft, an der Glückseligkeit des Paradieses teilzuhaben, das mit Darstellungen von üppigen Pflanzen, Blumen, grünen Wiesen, Pfauen und Tauben, weidenden Lämmern ... Alles spricht von Hoffnung und von Leben!«. [8]
Dies ist auch heute noch die Aufgabe der christlichen Archäologie: der Kirche zu helfen, sich an ihren Ursprung zu erinnern, die lebendige Erinnerung an ihre Anfänge zu bewahren und die Heilsgeschichte nicht nur mit Worten, sondern auch mit Bildern, Formen und Räumen zu erzählen. In einer Zeit, in der die Wurzeln oft verloren gehen, wird die Archäologie so zu einem wertvollen Instrument der Evangelisierung, die von der Wahrheit der Geschichte ihren Ausgang nimmt, um für die christliche Hoffnung und die Neuheit des Geistes zu öffnen.
Die christliche Archäologie lässt uns erkennen, wie das Evangelium in verschiedenen kulturellen Kontexten aufgenommen, interpretiert und gefeiert wurde; sie zeigt uns, wie der Glaube das Alltagsleben, die Stadt, die Kunst und die Zeit geprägt hat. Und sie lädt uns ein, diesen Prozess der Inkulturation fortzusetzen, damit das Evangelium auch in den Herzen und Kulturen der Welt von heute heimisch werden kann. In diesem Sinne blickt sie nicht nur auf die Vergangenheit, sondern spricht zur Gegenwart und weist den Weg in die Zukunft. Sie spricht zu den Gläubigen, die die Wurzeln ihres Glaubens wiederentdecken, aber auch zu den Fernstehenden, zu den Nichtgläubigen, zu denen, die sich nach dem Sinn des Lebens fragen und in der Stille der Gräber und in der Schönheit der frühchristlichen Basiliken ein Echo der Ewigkeit finden. Sie spricht zu den jungen Menschen, die oft nach dem Authentischen und Konkreten suchen; sie spricht zu den Wissenschaftlern, die im Glauben keine Abstraktion, sondern eine historisch dokumentierte Wirklichkeit sehen; sie spricht zu den Pilgern, die in den Katakomben und Heiligtümern den Sinn ihres Weges und die Einladung zum Gebet für die Kirche erkennen.
In einer Zeit, in der die Kirche dazu gerufen ist, sich gegenüber den geografischen und existenziellen Rändern zu öffnen, kann die Archäologie ein wirkungsvolles Instrument des Dialogs sein. Sie kann dazu beitragen, Brücken zwischen fernen Welten, zwischen verschiedenen Kulturen und zwischen Generationen zu schlagen. Sie kann bezeugen, dass der christliche Glaube nie eine in sich verschlossene Wirklichkeit war, sondern eine dynamische Kraft, die in der Lage ist, in die tiefsten Schichten der Geschichte des Menschen einzudringen.
Über den Horizont hinausblicken können: die Kirche zwischen Zeit und Ewigkeit
Die Bedeutung der archäologischen Aufgabe lässt sich auch an der Fähigkeit messen, die Kirche im Spannungsfeld zwischen Zeit und Ewigkeit zu verorten. Jeder Fund, jedes ans Licht gebrachte Fragment zeigt uns, dass das Christentum keine abstrakte Idee ist, sondern ein Organismus, der gelebt, gefeiert, den Raum und die Zeit bewohnt hat. Der Glaube steht nicht außerhalb der Welt, sondern in der Welt. Er ist nicht gegen die Geschichte, sondern in der Geschichte.Die Archäologie beschränkt sich jedoch nicht darauf, die Materialität der Dinge zu beschreiben. Sie führt uns darüber hinaus: Sie lässt uns die Kraft einer Wirklichkeit erahnen, die die Jahrhunderte überdauert, die sich nicht in der Materie erschöpft, sondern diese übersteigt. So sehen wir beispielsweise im Betrachten christlicher Gräber über den Tod hinaus die Erwartung der Auferstehung; in der Anordnung der Apsiden erkennen wir über die architektonische Berechnung hinaus die Ausrichtung auf Christus; in den Spuren, die von Gottesdiensten zeugen, erkennen wir über das Ritual hinaus die Sehnsucht nach dem Geheimnis.
Aus einer systematischeren Perspektive lässt sich sagen, dass die Archäologie auch in der Offenbarungstheologie eine besondere Bedeutung hat. Gott hat in der Zeit durch Ereignisse und Personen gesprochen. Er hat in der Geschichte Israels, in der Geschichte Jesu, zur Kirche auf ihrem Weg gesprochen. Die Offenbarung ist also immer auch geschichtlich. Wenn dem aber so ist, dann kann das Verständnis der Offenbarung nicht ohne eine angemessene Kenntnis der historischen, kulturellen und materiellen Zusammenhänge auskommen, in denen sie erfolgt ist. Die christliche Archäologie trägt zu dieser Kenntnis bei. Sie erhellt die Texte mit materiellen Zeugnissen. Sie befragt die schriftlichen Quellen, ergänzt sie und problematisiert sie. In einigen Fällen bestätigt sie die Authentizität der Überlieferungen, in anderen stellt sie sie in ihren richtigen Kontext, in wieder anderen wirft sie neue Fragen auf. All dies ist theologisch relevant. Denn eine Theologie, die der Offenbarung treu bleiben will, muss für die Komplexität der Geschichte offenbleiben.
Die Archäologie zeigt zudem, wie sich das Christentum im Laufe der Zeit zunehmend entfaltet hat, indem es Herausforderungen, Konflikte, Krisen, Momente des Glanzes und der Dunkelheit bewältigt hat. Dies hilft der Theologie dabei, idealisierte oder lineare Sichtweisen der Vergangenheit aufzugeben und sich der Wahrheit der Wirklichkeit zuzuwenden: einer Wahrheit, die aus Größe und Begrenztheit, Heiligkeit und Schwachheit, Kontinuität und Bruch besteht. Und gerade in dieser realen, konkreten, oft widersprüchlichen Geschichte wollte Gott sich zeigen.
Es ist schließlich kein Zufall, dass jede Vertiefung des Geheimnisses der Kirche mit einer Rückkehr zu den Ursprüngen einhergeht. Nicht aufgrund des bloßen Wunsches nach Wiederherstellung, sondern aufgrund der Suche nach Authentizität. Die Kirche erwacht und erneuert sich, wenn sie sich wieder fragt, was sie entstehen ließ, was sie in ihrer Tiefe ausmacht. Die christliche Archäologie kann in dieser Hinsicht einen wichtigen Beitrag leisten. Sie hilft uns, das Wesentliche vom Nebensächlichen, den ursprünglichen Kern von den Krusten der Geschichte zu unterscheiden.
Aber Vorsicht: Es handelt sich nicht um einen Vorgang, der das kirchliche Leben auf eine Verherrlichung der Vergangenheit reduziert. Wahre christliche Archäologie ist nicht sterile Konservierung, sondern lebendige Erinnerung. Sie ist die Fähigkeit, die Vergangenheit zur Gegenwart sprechen zu lassen. Sie ist die Weisheit, zu erkennen, was der Heilige Geist in der Geschichte gewirkt hat. Sie ist kreative Treue, nicht mechanische Nachahmung. Aus diesem Grund kann die christliche Archäologie eine gemeinsame Sprache, eine gemeinsame Grundlage, eine versöhnte Erinnerung vermitteln. Sie kann helfen, die Vielfalt der kirchlichen Erfahrungen, die Vielzahl der Formen, die Einheit in der Verschiedenheit anzuerkennen. Und sie kann zu einem Ort des Zuhörens, zu einem Raum des Dialogs, zu einem Werkzeug der geistlichen Unterscheidung werden.
Der Wert der akademischen Gemeinschaft
Als Pius XI. 1925 das Päpstliche Institut für Christliche Archäologie gründen wollte, tat er dies trotz der wirtschaftlichen Schwierigkeiten und der unsicheren Lage nach dem Krieg. Er tat dies mit Mut, Weitsicht und Vertrauen in die Wissenschaft und den Glauben. Heute, hundert Jahre später, fordert uns diese Geste heraus. Sie fragt uns, ob auch wir in der Lage sind, an die Kraft des Studiums, der Bildung und der Erinnerung zu glauben; sie fragt uns, ob wir bereit sind, trotz der Krise in die Kultur zu investieren, trotz der Gleichgültigkeit das Wissen zu fördern, die Schönheit auch dann zu verteidigen, wenn sie nebensächlich zu sein scheint. Dem Geist der Gründer treu zu bleiben bedeutet, sich nicht mit dem Erreichten zufrieden zu geben, sondern stets neu anzufangen. Es bedeutet, Menschen auszubilden, die in der Lage sind, zu denken, Fragen zu stellen, zu unterscheiden und zu erzählen. Es bedeutet, sich nicht in einem elitären Wissen zu verschließen, sondern zu teilen, zu verbreiten und einzubeziehen.
Anlässlich dieser Hundert-Jahr-Feier möchte ich auch die Bedeutung der Gemeinschaft zwischen den verschiedenen Institutionen, die sich mit Archäologie befassen, bekräftigen. Die Römische Päpstliche Akademie für Archäologie, die Päpstliche Kommission für Sakrale Archäologie, die Päpstliche Akademie Cultorum Martyrum, das Päpstliche Institut für Christliche Archäologie: Jede hat ihre Besonderheiten, aber alle teilen sich dieselbe Aufgabe. Es ist notwendig, dass sie zusammenarbeiten, sich austauschen und sich gegenseitig unterstützen. Dass sie Synergien schaffen, gemeinsame Projekte entwickeln und internationale Netzwerke fördern.
Die christliche Archäologie ist nichts, das für einige wenige reserviert ist, sondern eine Ressource für alle. Sie kann einen echten Beitrag zum Wissen über die Menschheit, zur Achtung der Verschiedenheit und zur Förderung der Kultur leisten.
Auch die Beziehung zum christlichen Osten kann in der Archäologie einen fruchtbaren Boden finden. Die gemeinsamen Katakomben, die gemeinsam genutzten Kirchen, die analogen liturgischen Bräuche, die übereinstimmenden Martyrologien: All dies bildet ein geistliches und kulturelles Erbe, das es gemeinsam zur Geltung zu bringen gilt.
Zur Erinnerung erziehen, die Hoffnung bewahren
Wir leben in einer Welt, die dazu neigt, zu vergessen, die schnelllebig ist, die Bilder und Worte konsumiert, ohne dass es zu einer Anreicherung von Sinn kommt. Die Kirche ist hingegen dazu berufen, zur Erinnerung zu erziehen, und die christliche Archäologie ist eines ihrer edelsten Instrumente, um dies zu tun. Nicht, um sich in die Vergangenheit zu flüchten, sondern um bewusst in der Gegenwart zu leben und eine Zukunft aufzubauen, die fest verwurzelt ist.
Wer die eigene Geschichte kennt, weiß, wer er ist. Er weiß, wohin er zu gehen hat. Er weiß, wessen Kind er ist und zu welcher Hoffnung er berufen ist. Christen sind keine Waisen: Sie haben einen Stammbaum des Glaubens, eine lebendige Tradition, eine Gemeinschaft von Zeugen. Die christliche Archäologie macht diese Genealogie sichtbar, bewahrt ihre Zeichen, interpretiert sie, erzählt sie und gibt sie weiter. In diesem Sinne ist sie auch ein Dienst der Hoffnung. Denn sie zeigt, dass der Glaube bereits schwierige Zeiten durchlebt hat. Er hat Verfolgungen, Krisen und Veränderungen überstanden. Er hat es vermocht, sich zu erneuern, sich neu zu finden, in neuen Völkern Wurzeln zu schlagen und in neuen Formen zu erblühen. Wer die christlichen Ursprünge erforscht, sieht, dass das Evangelium immer eine schöpferische Kraft hatte, dass die Kirche immer wieder neu geboren wurde, dass die Hoffnung nie verloren gegangen ist.
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Ich wende mich an die Bischöfe und an die Verantwortlichen für Kultur und Bildung: Ermutigt die jungen Menschen, Laien und Priester, Archäologie zu studieren, die innerhalb der kirchlichen und zivilen Institutionen, im akademischen und gesellschaftlichen Bereich, auf dem Gebiet der Kultur und der Denkmalpflege viele Ausbildungs- und Berufsperspektiven bietet.
Abschließend richte ich meine Worte an euch, Brüder und Schwestern, Wissenschaftler, Dozenten, Studenten, Forscher, im Bereich der Kulturgüter Tätige, verantwortliche Geistliche und Laien: Eure Arbeit ist wertvoll. Lasst euch nicht von Schwierigkeiten entmutigen. Die christliche Archäologie ist ein Dienst, eine Berufung, eine Form der Liebe zur Kirche und zur Menschheit. Fahrt fort mit den Ausgrabungen, dem Studium, dem Unterrichten und dem Erzählen. Seid unermüdlich in eurer Suche, genau in eurer Analyse, leidenschaftlich bei der Weitergabe der Erkenntnisse. Und bleibt vor allem dem tiefen Sinn eures Engagements treu: das Wort des Lebens sichtbar zu machen, zu bezeugen, dass Gott Mensch geworden ist, dass die Erlösung Spuren hinterlassen hat, dass das Geheimnis zu einer geschichtlichen Erzählung geworden ist.
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