Montag, 15. Februar 2021

Papst Franziskus, die Finanzreform und die Reform des vaticanischen Rechssystems

In seiner heutigen Kolumne bei Monday in the Vatican kommentiert  A. Gagliarducci eine Artikelserie in Il Foglio, die sich kritisch mit den Finanz-Skandalen und der Finanzreform des Vaticans auseinandersetzt. 
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"PAPST FRANZISKUS- WENN DER STAAT DEN HL STUHL ÜBERSCHATTET" 

Drei Artikel, die in den letzten Tagen von der italienischen Tageszeitung "Il Foglio" veröffentlicht wurden, sind es wert gelesen zu werde. Die drei Texte, die man hier finden kann, wurden von einem gewissen Cincinnato geschrieben und beleuchten Widersprüche und Probleme, die durch die  Vorreiterrolle der Vatrican-Richter bei den jüngsten Finanz-Vorkommnissen hervorgerufen wurden. 

Es lohnt sich, sich daran zu erinnern, daß das Hintergrundthema der Erwerb einer prestigerträchtigen Immobilie in London durch das Vaticanische Staatssekretariat  2018 war- unter der Leitung des venezolanischen Erzbischofs Msgr. Edgar Pena Parra- eines Mannes, der dem Papst sehr nahe steht. Ohne in die Details der Investition zu gehen- der Hl. Stuhl hat einen Vertrag unterzeichnet, der die nicht ganz abdeckte. Um die Investition zu refinanzieren, bat das Staatssekretariat das IOR, die sog. Vatican-Bank, um Geld. Das IOR - und die Akten, die Emiliano Fittipaldi vorfand, scheinen zugestimmt zu haben, aber der änderte dann später seine Meinung und erhob Bedenken, die später den Papst erreichten, der dann die Erlaubnis zum weiteren Vorgehen gab. 

Die drei Artikel sind aus drei Gründen lesenswert: sie sind keine Sensationsartikel, sie basieren auf offen zugänglichen Quellen, dennoch sind die Fakten noch nicht systematisch veröffentlicht und analysiert worden; sie beleuchten ein neues Problem, das einer möglichen "Vaticanisierung des Hl. Stuhls"; sie zerbechen das übliche Narrativ vom Vatican, der die Korruption bekämpft. Und es gibt noch einen vierten Grund: abgesehen davon, daß Il Foglio eine renommierte Zeitung ist, die es nie versäumt hat, eine gewisse kritische Haltung gegenüber dem Pontifikat von Papst Franziskus zu zeigen, ist sie auch eine renommierte Zeitung. Sie arbeitet nicht mit Klatsch sondern mit Analysen. Und es ist genau diese Recherche, die zeigt, daß die Vatican-Justiz überall leck ist . 

Associated Press hat bereits über das vaticanische Justiz-Problem berichtet. Ebenso Ernesto Galli Della Loggia in einem Leitartikel im Corriere Della Sera.  Der Punkt ist dieser: der Hl. Stuhl unterschreibt internationale Konventionen, verteidigt die Menschenrechte in der Welt, hat aber selber Richter. die, indem sie in Gerichtsverfahren summarische Prozeduren anwenden, seine welt weite Präsenz durch -um das mindeste zu sagen- kühne Vorgehensweisen. 

Das fing mit der Verhaftung von Gianluigi Torzi im Vatican an, den er  von seinem Rechtsanwalt begleitet zu einerBefragung aufsuchte und sich 10 Tage lang in einer Zelle wiederfand. Dann war da Raffaele Mincione, ein italienischer Staatsbürger, der in Italien einem Hotel verhaftet wurde. Er hat in London zwei Prozesse gegen den Hl. Stuhl angestrengt.  Und da war der Fall von Cecilia Marogna, einer italienischen Bürgerin, die auf Antrag des vaticanischen Staatsanwaltes in Italien im Gefängnis landete, der dann auch ihre Auslieferung forderte. Und schließlich die Hausdurchsuchung bei Fabrizio  Tirabassi, einem Miatarbeiter des Vaticabns, mit der Beschlagnahme von Geld, das in seinem Haus gefunden wurde- ein Fall, der später von einem Italienischen  Gericht abgelehnt wurde. 


Die Art wie die Untersuchungengehandhabt werden ruft etliche Zweifel hervor. Ea wurde gesagt, daß der Papst nichts von der Londoner Immobilien-Investition wußte, noch jemals einem, der in diese Operation verwickelten Protagonisten begegnet sei. Dann tauchte ein Foto des Papstes mit Torzi auf- das während der Weihanchtszeit in Santa Marta aufgenommen wurde: die offizielle Version  war, daß der Papst Torzi zwar begegnet sei, aber nichts von der im Gang befindlichen Operation wußte. Schließlich sagte der Vaticanische Gerichtsbhof auf Anfrage von AP , daß der Papst den Raum betraten habe, in dem Verhandlungen zur Abwicklung von Torzis Holdings bei den vaticanischen Immobilien-Gesellschaften stattfanden. Der Papst hatte der Raum betreten- sagten die Vatican-Richter- um jeden dazu einzuladen. eine Lösung zu finden. Aber - wußte der Papst, als er hereinkam?  Und wenn er wußte, warum die Dinge nicht sofort erklären?   

Weil- wenn es so ist- das gesamte System der Anklage zusammenbrechen würde., das bisher noch nicht zu einer Verurteilung geführt hat.  Wenn der Papst von allem wußte und die Operation billigte, warum dann die Untersuchung? Wenn, -wie es wahr ist- Erzbischof Edgar Pena Parra wußte und die ganze Operation unterstützte- warum wurde er nicht auch in die Untersuchung einbezogen? 

Das sind die drängendsten Fragen, die die lange und detaillierte Analyse von Il Foglio aufwirft. In der Serie werden jedoch viele Themen angesprochen. 

Die erste ist, ob die Vatican-Justiz unabhängig ist? Die vaticanischen Staatsanwälte sind fast alle Rechtsanwälte oder Universitätsprofessoren aus den Rängen der Italienischen Justiz  oder aus einem kleinen Kreis. Gerichtspräsident ist Giuseppe Pignatone, ein pensionierter italienischer Staatsanwalt. Stellvertretender Ankläger ist Alessandro Diddi, der in Italien einen Mann verteidigt hat, der wegen organisierten Verbrechens angklagt war. Tatsächlich hat er sich in einem Fernseh-Programm als Verteidiger präsentiert, ohne die möglichen negativen Rückwirkungen auf den Hl. Stuhl zu bedenken. 

Die zweite Frage ist: kann ein Vatican-Gerichtshof aus Teilzeit-Juristen zusammengesetzt sein? Sie sind Experten, aber sicher nicht Experten für alles. Einige behandeln außerhalb des Vaticans Familienrecht und finden sich hier komplexen Finanz-Prozessen gegenüber. Bis jetzt waren sie Teilzeit-Richter, weil- wie gesagt wurde- die Zahl der Prozesse im Vatican nicht so groß war. Aber heute hat sich alles geändert. Die Finanzreform hat neue Spezialisierungen hervorgebracht und das Vatican-System auf ein Europäisches System ausgerichtet. Können dann Teilzeit-Richter, die gelegentlich einberufen werden, in der Lage sein, eine komplexe Untersuchung durchzuführen, wie die des Londoner Immobilien-Falles? 

Unter anderem ist es nicht einmal nötig, daß die Richter Italiener sind, Ihre Kenntnis des Vaticanischen Rechtssystems (das nicht nur eine Kopie des italienischen Rechtssystems ist, sondern sogar dem Kodex von 1889 entstammt) und fließendes Italienisch würden genügen. Richter, die nicht aus Italien kommen, könnten das Vatican-System internationalisieren. Aber der Weg, der gewählt worden ist, und den wir in den jüngsten Ernennungen durch Papst Franziskus gesehen haben- ist, die Beziehungen zu Italien aufrecht zu erhalten. Vorher hat der Vatican sich auf Universitätsprofessoren oder Rechtsanwälte verlassen. Der einzige Unterschied jetzt ist, daß er sich auf pensionierte italienische Staatsanwälte verläßt. 

Der dritte Punkt: ist dieser juristische Aktivismus gut für den Hl. Stuhl? Die Antwort ist nein. Der Hl. Stuhl sieht seine Glaubwürdigkeit durch ein Rechtssystem untergraben, das am Ende die Institutionellen Konsequenzen seines Tuns nicht versteht. Die Durchsuchungen bei der Finanzaufsicht des Vaticans und im Staatssekretariat waren beinahe irrational und haben bei den internationalen Organisationen Sorgen hervorgerufen. 

Die Egmont-Gruppe, weltweiter Zusammenschluss der Finanzuntersuchungs-Einheiten, hat den Hl. Stuhl einstimmig aus dem Sicheren-Transaktions-Kreis ausgeschlossen. Der Hl. Stuhl konnte in diesen Kreis zurückkehren, nachdem ein Memorandum mit dem Vatican--Gerichtshof unterschrieben wurde Wenn ein Memorandum nötig war, gab es auch die Notwendigkeit für Garantien. Aber irgendwer erzählte dem Papst, daß Egmont eine private Gruppe ist und so betrachtete der Papst sie als eine solche. Das Übereinkommen zeigt, daß es nicht so ist, Egmont ist keine private Gruppe. Aber es zeigt auch, daß die Glaubwürdigkeit des Hl. Stuhls bis auf die Knochen reduziert wurde und aus diesem Grund muß sich der Vaticanische Gerichtshof mit speziellen Dokumenten befassen. Ein Engagement, das es in jüngster Zeit nie gegeben haben sollte. 

Der vierte Punkt: das vaticanischen Anti-Korruptions-Engagement hat seine Fehler gezeigt. Attackiere einige, verschone andere. Es gibt keine Konsistenz. Es gab spektakulläre Prozesse und andere, die im Vatican spektakulär sein sollten, aber alle haben Zweifel darüber hinterlassen, wie Gerechtigkeit geübt wurde. 

Der jüngste Prozess war der gegen den früheren Präsidenten des IOR- Superintendanz Angelo Caloia, der wegen Geldwäsche und kleinerer Vergehen verurteilt wurde. Ein Urteil, das als historisch gepriesen wurde, aber es war nicht das erste dieser Art: zuvor hatte es den Prozess gegen Paolo Cipriani und Massimo Tulli, den früheren Direktor und Vizedirektor des IOR, gegeben, der ebenso mit einer Verurteilung wegen Geldwäsche endete. Ein seltsames Urteil, dem in einem Zivilprozess in Italien ein Freispruch folgte. Ein ungerechtes Urteil, weil es gefällt wurde, während die Revision noch läuft. 

Die neuen Prozesse dienen dazu, einen erneuerten Aktivismus des Vaticanischen Gerichtshofes zu zeigen. MONEYVAL, das Komitee des Europäischen Rates, das die Befolgung der Finanz-Transparenz.Standards durch die Mitgliedsstaaten überwacht, wird im April über den Hl. Stuhl berichten. Dabei geht es um die Effizienz des Rechtssystems. Das heißt, um das, was aus den Berichten hervorgeht. In vorherigen Berichten, wurde das Vatican-Gericht unsachgemäßer Aktivität und der Nichtbefolgung der Beschwerden der Finanzüberwachung beschuldigt. Der neue vaticanische juristische Aktivismus könnte, den "Durchschnittswert" der Verfahren ansteigen lassen und zu einer mäßig positiveren Beurteilung als erwartet führen- angesichts eines Systems, das den Glanz seiner besten Zeit verloren hat. MONEYVAL könnte so ein teilweise positives Urteil abgeben und das Narrativ eines neuen Finanz-Kurses legitimieren. 

Wie paßt das aber mit der Tatsache zusammen, daß beim Prozess um die Londoner Immobilie nach eineinhalb Jahren immer noch mit vorbereitenden Untersuchungen stattfinden- und es immer noch keinen Prozess gegeben hat? 

Fünftens: der Hl. Stuhl läuft Gefahr von fremden Staaten wegen Menschenrechtsverletzungen mit enormen Schadensersatzforderungen konfrontiert zu werden. Keiner hat über die Konsequenzen einiger kühner Gesten nachgedacht. 

Das sind alles Themen, die miteinander verbunden sind und die sich in grobe Steine verwandeln könnten. Es sind Themen, die Il Foglio in drei langen Artikeln zusammenfassen und damit zeigen wollte, daß es jetzt auch ein gewisses Mißtrauen gegen das Rechtskonzept von Papst Franziskus gibt. Weil es eine Gerechtigkeit ist, die sich gegen Personen richtet und wie nach einem Uhrwerk dennoch Freunde beschützt. Kein großes Wunder also, daß z.B. Erzbischof Gustavo Zanchetta sofort einen Posten bei der APSA bekam, obwohl in Argentinien gegen ihn ein Mißbrauchs-Prozess läuft. 

Es gibt viele, zu viele Fragen, die angesichts der Finanz-Skandale bleiben. Das sind keine Fragen, die sich um Skandale als solche drehen. Statt dessen  enthüllen sie ein bankrottes internes Management, ein Management, das hinter dem Neuigkeits-Narrativ verborgen ist, aber den Zeittest nicht bestehen kann."

Quelle: A. Gagliarducci, Monday in the Vatican

 

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