In seiner heutigen Kolumne in Monday at the Vatican befasst sich A. Gagliarducci mit der Anrwort, die Kardinal Koch auf eine kritische Frage zur Auswirkung von Fiducia Supplicans auf die Ökumene gegeben hat und erkennt in ihr einen seltenen Fall von Parrhesia.
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"PAPST FRANZISKUS: EIN WEITERER SCHLÜSSEL ZUM VERSTÄNDNIS"
Die Präsentation des Dokumentes "Der Bischof von Rom"am 13. Juni war die Gelegenheit für einen seltenen Fall von Parrhesia, als Kardinal Kurt Koch auf eine Frage zur Auswirkung von Fiducia Supplicans auf die Ökumene beantwortete. Das war eine vernünftige Frage, weil die Koptisch Orthodoxe Kirche wegen des Dokumentes entschieden hatte, den theologischen Dialog auszusetzen.
Diese Tatsache allein war schon aussagekräftig, weil der Dialog zwischen den Koptisch Orthodoxen und der Katholischen Kirche sehr gut funktionierte, bis er es nicht mehr tat. Der Führer der Kopten, Papst Tawadros von Alexandria war sogar während eines Besuches wegen der historischen Aufnahme der koptischen Märtyrer Libyens ins Römische Martyrologium bei einer Generalaudienz bei Papst Franziskus erschienen.
Als Kardinal Koch dazu befragt wurde, war die Antwort, dass "Fiducia Supplicans auch innerhalb der Katholischen Kirche Sorgen hervorgerufen hat. Koch stellte fest: "Es ist noch nie vorgekommen, dass ganz Afrika sich gegen ein Dokument stellt". Dann sagte er, dass der Koptische Co-Präsident der Katholischen Östlich-Orthodoxen Kommission sofort um eine Klarstellung gebeten hatte und daß er mit der schriftlichen Antwort von Kardinal Fernandez nicht zufrieden war. Kardinal Fernandez fuhr daraufhin nach Ägypten, aber auf die Nachricht von der Wiederaufnahme des theologischen Dialogs wird weiterhin gewartet.
Warum sind Kochs Worte ein seltener Fall von Parrhesia Weil sie ehrlich waren und mit dem Finger auf ein internes Problem der Kirche und der Strukturierung von Dokumenten zeigen; sie haben das Problem nicht versteckt. Und das ist schliesslich selten in einer Zeit, in der das Pontifikat von Papst Franziskus durch das Narrativ definiert wird.
Was Koch über Fiducia Supplicans sagte, straft eher die offizielle Lesart Lügen, daß der Widerstand gegen Papst Franziskus nur innerhalb der Katholischen Kirche existiert. Ausserdem zerbricht es ein Klima, das vorgibt, daß alles in Ordnung ist, wenn es das nicht ist.
Papst Franziskus entscheidet und das tut er so autonom, was für einen Papst legitim ist. Aber es ist nicht sicher, daß diese Entscheidungen gut aufgenommen werden und große Menschenscharen werden die innere Situation nicht ändern.
Auf gewisse Weise gibt Kardinal Koch Anlass zu denken. Es sind andere Interpretationen nötig, um das Pontifikat zu verstehen. Vielleicht ist uns etwas entgangen.
Letztlich wird dieses Pontifikat wahrscheinlich von der Frage geprägt sein, was vor Fiducia Supplicans war und was danach. Die Frage ist entscheidend, denn auf der einen Seite gibt es diese Entscheidung, sich für alle zu öffnen – todos! todos! todos! – wie Papst Franziskus sagt; auf der anderen Seite gibt es den offensichtlichen Widerspruch eines Papstes, der willkommen heißen will, dann aber nicht versäumt, Ausdrücke zu verwenden, die nicht dem päpstlichen Stil entsprechen, um über das Problem der Homosexuellen im Klerus zu sprechen.
Papst Franziskus hat nicht nur bei dem Treffen mit den Bischöfen der italienischen Bischofskonferenz hinter verschlossenen Türen das böse italienische Wort, „frociaggine“, verwendet, sondern er tat es auch erneut, als er am 12. Juni an der Päpstlichen Salesianer-Universität die zwischen 39 und 11 Jahren geweihten Priester traf.
Auch diese Diskussion hätte hinter verschlossenen Türen stattfinden sollen. Aber wie kann eine Rede vor mehr als 150 Personen vertraulich sein?
Der Punkt ist, daß Papst Franziskus am 14. Juni Pater James Martin empfing und ihn – in den Worten des Jesuiten selbst – in seinem Dienst für LGBTQ+-Menschen bestätigte und seine Offenheit lobte.
Offensichtlich ist dies leicht zu interpretieren: Papst Franziskus schließt die Türen der Seelsorge nicht; er möchte, dass alle willkommen sind. Gleichzeitig schließt er die Türen der Seminare und bestätigt damit eine von früheren Päpsten gewünschte umsichtige Linie. Doch all dies stimmt nicht mit der Gewalt und Brutalität der von Papst Franziskus verwendeten Sprache überein.
Wie interpretiert man also Papst Franziskus
Der Papst ist in erster Linie ein Erfinder von Narrativen. Es heißt, daß Papst Franziskus, als er von zwei Journalisten erfuhr, die ein Buch über seine Jahre im „Exil“ in Cordoba, Zentralargentinien, vorbereiteten, sie anrief und ihnen Material und Hintergrundinformationen anbot. Im Gegenzug wollte er den Text dann überarbeiten.
Papst Franziskus weiß, dass die Öffnung der Seminare für alle von vielen als problematisch angesehen würde. Aber er weiß auch, dass er das Kapital, das er mit der Episode "Wer bin ich, daß ich urteile?“ aus dem Jahr 2013 gewonnen hatte, effektiv verbrennen würde, wenn er keine Anzeichen von Offenheit gegenüber der LGBT-Gemeinschaft zeigte, und mit dem sein Pontifikat seit mehr als einem Jahrzehnt – ob zu Recht oder zu Unrecht – agiert.
Kurz gesagt Papst Franziskus handelt pragmatisch, widerspricht sich manchmal, sucht aber immer das Beste für das Narrativ.
Der zweite Schlüssel zur Interpretation ist, dass Papst Franziskus – trotz der Forderung nach einer Änderung der Mentalität der Kirche – ein Papst des Egos ist.
Der Papst spricht nie über Studien, Diskussionen oder Gespräche, die ihn besonders betroffen haben. Papst Franziskus sagt, was er denkt, und wiederholt es endlos, und seine Gedanken werden zur Interpretationslinie.
Papst Franziskus tut etwas völlig Legitimes. Die Männer der Kirche benutzen das päpstliche Lehramt und entwickeln ihre Lehren, indem sie davon ausgehen und versuchen, es zu verbessern.
Die Tatsache, dass Papst Franziskus das Ego dominieren lässt, hat jedoch ihre Nachteile.
Nehmen wir die kirchlichen Bewegungen. Ein anderer Papst hätte eine sehr differenzierte Rede gehalten, die Vor- und Nachteile von Situationen hervorgehoben und versucht, eine Richtung vorzugeben, ohne persönlich einzugreifen. Bei dem Treffen mit den Moderatoren der kirchlichen Bewegungen am 13. Juni sagte Papst Franziskus auf brutale Weise, daß "eine inn sich geschlossene Bewegung nicht kirchlich ist; sie muss geschlossen werden“. Der Papst glaubte nicht, daß dies als Anklage gegen die Bewegungen verstanden werden könnte. Er wollte ein Signal geben.
Der dritte Schlüssel zur Interpretation ist, daß Papst Franziskus keine Filter mehr hat und seinen Mitarbeitern viel mehr Freiheit lässt als ihm. Er zögert nicht, bei Bedarf in Debatten einzugreifen, neigt aber dazu, sich außen vor zu halten. Er ist ein einsamer und endgültiger Mann, wie der Schriftsteller Borges, den der Papst so sehr liebt, sagen würde.
Aber wie halten sie Papst Franziskus mit all dieser Zentralisierung, dieser ausgesprochenen, aber nicht praktizierten Synodalität mit den Menschen in Kontakt? Inwieweit hat ihn jedoch ein Hof umringt, gefiltert, ihm Anweisungen gegeben und über Leben und Tod der Menschen um ihn herum entschieden?
Diese wichtigen Fragen führen dazu, dass das Pontifikat mit anderen Augen betrachtet wird. Schließlich haben viele der großen menschlichen Ressourcen des Vatikans beschlossen, den Vatikan zu verlassen, und dies ist ein Zeichen, das verstanden werden sollte.
Aber niemand wagt offen darüber zu sprechen.
Niemand in der päpstlichen Gunst, das heißt, außer Kardinal Koch. Und der machte es möglich, die Schatzkiste der Geheimnisse dieses Pontifikats zu öffnen, bei der jeder das Recht haben wird, etwas daraus zu erhalten. Das wird interessant."
Quelle: A Gagliarducci, Monday at the Vatican
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