Freitag, 14. Juni 2024

Spontane bischöfliche Stellungnahme zu "Der Bischof von Rom...". Lesen !

Der emeritierte Weihbischof von Chur, Dr. Marian Eleganti, hat sich spontan und kritisch zum gestern veröffentlichten Studien-Dokument "Der Bischof von Rom. Primat und Synodalität im ökumenischen Dialog und Antworten auf die Enzyklika Ut Unum Sint " geäussert und stellt die entscheidenden Fragen.

"Eine erste, spontane Reaktion zum Neuen Dokument über die Ausübung des Petrusamtes"

Von Dr. Marian Eleganti osb, em. Weihbischof von Chur

Die Akzeptanz des römisch-katholischen, päpstlichen Jurisdiktionsprimats durch die anderen Christen als Kriterium für seine Gültigkeit und Legitimität zu sehen und das Papsttum entsprechend (neu, anders) zu verstehen oder auszuüben als bisher, ist meines Erachtens falsch. Es kann nicht darum geben, das Petrusamt so lange herabzustufen, bis es für möglichst viele getrennte Christen akzeptabel wird, aber nicht mehr das ist, was es nach dem Willen Christi zu sein hat. Das Kriterium ist also, ob es in seiner jetzigen Gestalt diesem Willen und der Wahrheit des Evangeliums entspricht, eine Stiftung durch Christus (also göttlichen Rechts) bleibt, und ob seine Entwicklung und Dogmatisierung im Laufe der Zeit im Heiligen Geist erfolgte oder nicht. Wir waren immer davon überzeugt, daß der Hl. Geist die Kirche in die volle Wahrheit führt und sie in der Wahrheit erhält, weshalb sie als unfehlbar gilt. Deshalb glauben wir in der Professio Fidei auch an die Kirche zusammen mit dem Heiligen Geist. Außerdem liegt eine unfehlbare Dogmatisierung des Petrusamtes vor. Insofern kann die Beantwortung der Frage, worin das Petrusamt besteht, und wie es ausgeübt wird (vor allem, ob es für alle Christen jurisdikionell verbindlich ist oder nicht) kein Ergebnis von Verhandlungen sein, die nach dem größten oder kleinsten gemeinsamen Nenner suchen. Das Eigentliche, das bisher Erreichte, nämlich das, was Christus wollte, kann nicht wieder ahistorisch zur Disposition gestellt werden nach dem Motto «Zurück an den Start»!. Die Wahrheit bzw. der Wille Gottes, nicht der Konsens mit den getrennten Brüdern, muss hier den Ausschlag geben. Die Frage ist von grundsätzlicher Natur. Sie rührt an die Wurzeln der röm.-kath. Ekklesiologie: Hat sich das Papsttum in der röm.-katholischen Kirche authentisch und unter der Führung des Hl. Geistes entwickelt bis zur Dogmatisierung durch das Vatikanum I, oder sieht man mit den anderen christlichen, kirchlichen Gemeinschaften und Denominationen diese Entwicklung im Wesentlichen als eine Fehlentwicklung an und als eine Überfremdung des Evangeliums, als ein Abrücken von der durch Christus gestifteten und ursprünglich gewollten Urform des Petrusamtes? Das ist für die Kirche eine Frage von Sein und Nichtsein, eine fundamental ekklesiologische Frage, nämlich nach dem Wo bzw. der Verortung der einen, wahren und sichtbaren Vollgestalt der Kirche Christi. Kurz: Wo ist (existit) die eine, wahre und sichtbare Kirche Christi? Die römisch-katholische Antwort darauf kennen wir: die römisch-katholische Kirche. Es gibt aus unserer Sicht auch nach dem Vatikanum II keine andere und wird es auch nicht geben. Da aber werden die anderen «Kirchen» sicher nie zustimmen. Sie sind ja aus diesem Grund von uns – mindestens jurisdiktionell - sichtbar getrennt.

Wenn man die Entwicklung des kirchlichen Amtes seit den Tagen der Apostel als ein Kontinuum sieht, das vom Heiligen Geist inspiriert und geführt wurde, kann man diese Entwicklung bis zu den Spitzenaussagen über das Petrusamt des Ersten Vatikanischen Konzils nicht rückabwickeln auf angeblich einfachere Vorstufen, auf denen andere Kirchen und christliche Denominationen stehen geblieben oder von ihnen überhaupt abgekommen sind, weil sie aufgrund ihres diesbezüglichen Dissenses mit dem römisch-katholischen Verständnis von Kirche im Allgemeinen und dem universalen Jurisdiktionsprimats des Bischofs von Rom im Besonderen nicht einverstanden waren und bei ihrem diesbezüglichen Dissens geblieben sind.


Damit stellt sich – wie bereits gesagt - die Grundfrage nach der wahren und sichtbaren Kirche und ihrer Unteilbarkeit, jene Kirche, die Christus gemeint hat, auf Petrus, dem Felsen, gegründet hat, und die an Pfingsten in Jerusalem ihre Geburtsstunde erlebt hat und im Lauf der Zeit sich selbst treu geblieben ist. Das Zweite Vatikanische Konzil beantwortete diese Frage mit seinem problematischen und erklärungsbedürftigen «subsistit in». Die Konzilsväter waren zwar immer noch davon überzeugt, dass die römisch-katholische die sichtbare Vollgestalt der Kirche Christi ist (existit), haben aber diesen unaufhebbaren Anspruch semantisch verwedelt (subsistit), um mehr inklusiv und weniger exklusiv aufzutreten, keine Gefühle zu verletzen und die gültigen Elemente der Wahrheit und sakramentalen Strukturen der von ihr getrennten Christen anzuerkennen und ins Licht zu rücken. 

Nun will man diese Büchsen in einem neuen Anlauf wieder aufmachen und die Lehrentwicklung und Ämtertheologie insbesondere in Bezug auf das Petrusamt und seine Ausübung, wieder in Frage stellen. Die Richtung soll synodal oder biblisch-evangelisch sein, das Menschliche in dieser komplexen Wirklichkeit vom Göttlichen getrennt werden, damit das Papsttum in neuer Akzeptanz und in einer neuen Form seines Selbstverständnisses und seiner Ausübung erscheint. Das ist ekklesiologisch bedenklich. Etwas Salopp und mit anderen Worten: «Vergesst die Dogmatisierung des römischen Jurisdiktionsprimates auf dem Vatikanum I und kehrt in die Reformationszeit, ins erste Jahrtausend oder überhaupt in die apostolische Zeit zurück! Relativiert jene dogmatischen Spitzenaussagen eines ökumenischen Konzils des lateinischen Westens als eine seiner kulturellen Besonderheiten, die in seiner ganzen jurisdiktionellen Zuspitzung nur für die lateinische Kirche gilt! Gebt dieses spaltende Joch auf, das der römische Papst ex sese (aus sich selbst) und nicht ex consensu (aufgrund der Zustimmung einer Mehrheit) nicht allen Christen auferlegen kann. Ein Einheitsamt wird gewollt, aber synodal, d.h. mehrheitsfähig und nur verbindlich, wenn die Mehrheit der Beteiligten (das sind alle Christen) eine Sache so entschieden hat: der Papst als Moderator und Synodenleitung, mehr nicht, bestenfalls als glaubwürdiger Zeuge, dem natürlich auch widersprochen wird. Wie gut bzw. wie schlecht das funktioniert, kann man gerade bei den getrennten Brüdern sehr gut sehen (vgl. Anglikanismus). Wir verstehen nun, weshalb der Titel «Patriarch des Westens» als Attribut des römischen Papstes wieder eingeführt wurde, nachdem Benedikt XVI. ihn fallen gelassen hatte! Ist das ein Gewinn? Ich persönlich halte es für einen Rückschritt und für eine in Bezug auf das Petrusamt bedenkliche Selbstaufhebung der römisch-katholischen Lehrentwicklung, die in unserer Frage immer schon Stein des Anstosses war und zwar nicht nur aufgrund des moralischen Versagens von Päpsten, sondern viel grundsätzlicher und theologischer bzw. kirchenpolitischer. Nun neu zu behaupten, das Papsttum sei göttlichen und menschlichen Rechts, um durch letztere Ergänzung vor allem seine jurisdiktionelle Ausübung historisch-kritisch relativeren zu können, bedeutet für mich, nicht an die Kirche als göttliche Institution zu glauben. Noch einmal: «Ich glaube an den Heiligen Geist, die eine, heilige, katholische und apostolische Kirche». Letztere ist in der Frage des Petrusamtes eindeutig römisch und bildet im Symbolum mit dem Heiligen Geist ein «iunctim» (eine Einheit). Dies in Frage zu stellen, bedeutet nach römisch-katholischem Verständnis der Dogmenentwicklung die Unfehlbarkeit der Kirche Christi im Allgemeinen und des Papstes im Besonderen (bestimmte Bedingungen vorausgesetzt) in Frage zu stellen. 

Ich denke abschliessend, dass auf diese diskursiv-synodale Weise auch in dieser Frage mit den getrennten Christen keine Kirche zu machen ist, so wenig wir diesbezüglich in der Vergangenheit mit ihren Verwerfungen (vgl. die Reformationszeit) auf einen grünen Zweig gekommen sind. Eine Rückkehrökumene (aus Sackgassen kommt man nur durch Umkehr) darf es ja erklärtermassen nicht geben, obwohl die ganze Wahrheit es meiner Meinung nach verlangen würde. Man könnte auch von Wiedervereinigung sprechen. Aber eine solche müsste in der Wahrheit erfolgen, und nicht als eine Form des Ehrenprimates des römischen Papstes eine weiterhin auseinanderdriftende Christenheit weiss übertünchen, die de facto und jurisdiktionell sichtbar getrennt bleibt und auch nicht in wesentlichen, ekklesiologischen und dogmatischen Fragen zu einem Konsens gelangt. Die regionale Umsetzung des gemeinsamen Glaubens (ist er das?) würde weiterhin (wie bisher) differieren. Denken wir nur an die kirchlichen Gemeinschaften aus dem Protestantismus. Nein, der durch das neue Dokument vorgeschlagene Weg ist für mich eine «Fata morgana» sui generis, die ins Chaos führt oder das bereits bestehende absegnet. Mit diesem Statement bin ich natürlich definitiv «aussen vor». Man muss die Frage im eigenen Gewissen entscheiden. So wie Jesus pessimistisch (?) oder realistisch angekündigt hat, dass es Kriege immer geben wird, so wird der Dissens in der Christenheit in Fragen wie dem Petrusamt und anderen leider eine Realität bleiben, ganz zu schweigen von der pastoralen Praxis (die sog. «Lebenswirklichkeit» der «Kirchen») aufgrund ihres anderen Amts- und Sakramentenverständnisses. Wir bleiben Sünder, und der neue Vorschlag bzw. die neue Diskussionsgrundlage ist nicht mehr als ein kraftloser Kohäsionsversuch, aber keine Einheit in der unteilbaren Wahrheit, die für alle gilt. Für uns ist diese Wahrheit ganz klar römisch-katholisch, oder wollt Ihr behaupten, dass die röm.-katholische Kirche von der Wahrheit Christi und von Seinem Willen im 19. Jahrhundert auf dem Vatikanum I mit seiner Dogmatisierung des universalen Jurisdiktionsprimates des Papstes (ex sese non ex consensu) abgekommen ist? Dabei ging es doch gerade um die Unfehlbarkeit!"

Quelle: Dr. M.Eleganti, OSB

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