Freitag, 9. August 2024

Das christliche Leben des Augenblicks

Roberto de Mattei veröffentlicht bei Radio Roma Libera einen Text über die Theologie der Christlichen Geschichte. Hier geht s zum Original:   klicken

"DIE GNADE DES GEGENWÄRTIGEN AUGENBLICKS" 

Es war mein Wunsch, den Abschluß der Sommeruniversität der Lepanto-Stiftung, die vom 25. bis 28. Juli 2024 in Subiaco stattfand, mit folgenden Worten der Theologie der christlichen Geschichte zu widmen:

Die Jahrhunderte vergehen, die Umstände ändern sich, aber Gott ändert sich nicht, die katholische Kirche ist dieselbe und der Kampf ist weiterhin der zwischen den beiden Städten, die sich in der Geschichte wie zwei Armeen gegenüberstehen. Die Theologie der christlichen Geschichte versichert uns, daß die Stadt Gottes immer siegreich ist; die Erscheinung Unserer Lieben Frau in Fatima versichert uns, daß der historische Triumph des Unbefleckten Herzens nahe ist; die historische und logische Analyse der revolutionären Dynamik versichert uns die Unumkehrbarkeit der konterrevolutionären Bewegung. Diejenigen, die in den Kampf eingetaucht sind, übersehen jedoch den großen Horizont des Schlachtfeldes, der manchmal in Nebel oder in die Schatten der Nacht gehüllt scheint. Es besteht die Gefahr, daß wir uns verirren, vor allem aber, daß wir das Endziel unserer Kämpfe und unseres Weges aus den Augen verlieren. Denn der Weg ist weit, und er ist nicht linear. Man bewegt sich auf verschlungenen Pfaden, mit weiten Kurven, manchmal ist das Gelände steil und undurchlässig, manchmal flach, es fällt ab und steigt plötzlich wieder an. Auf das Ganze gesehen ist die Bewegung sicherlich ansteigend, aber nicht schnurgerade. Wir klettern dem Gipfel zu, aber vorbei an Spitzen, Abgründen und Klippen auf einem unebenen Weg. Und die Feinde, die uns angreifen, sind vielfältig. So ist die Geschichte der Menschheit, so ist unser Leben. Und wenn die Nacht der Verwirrung hereinbricht, die Dunkelheit des Chaos, überfällt uns die Angst.

Louis-Ferdinand Céline, ein französischer Schriftsteller der 1930er Jahre, schrieb einen Roman mit dem Titel: „Voyage au bout de la nuit“ („Reise ans Ende der Nacht“). In diesem Roman schreibt Céline einem Offizier der Schweizergardisten, die sich 1793 in den Tuilerien opferten, um Ludwig XVI. zu verteidigen, ein Lied zu, in dem es heißt: „Notre vie est un voyage / Dans l’Hiver et dans la Nuit / Nous cherchons notre passage / Dans le Ciel où rien ne luit“ („Unser Leben ist eine Reise / im Winter und in der Nacht / wir suchen unseren Weg / in einem Himmel ohne Licht)“. Dieser romantische Pessimismus entspricht nicht der Realität. Es ist wahr, daß wir oft durch in der Dunkelheit der Nacht gehen. Aber auf die Nacht folgt immer die strahlende Morgendämmerung des Tages. Und bei Tag und bei Nacht hört das übernatürliche Licht, das uns den Weg weist, niemals auf zu leuchten.

Wenn wir durch die Nacht gehen, wird unser Weg von einer Fackel erleuchtet, die unsere Schritte erhellt, auch wenn sie uns nicht erlaubt, weit vor oder hinter uns zu sehen. Diese Fackel ist die Gnade des gegenwärtigen Augenblicks, die es uns durch ihren wenn auch begrenzten Lichtstrahl ermöglicht, nicht zu stolpern, nicht vom Weg abzukommen und die richtige Richtung beizubehalten.

Auf diese Gnade des gegenwärtigen Augenblicks bezieht sich unser Herr, wenn er sagt: „Seid gewiß: Ich bin bei euch alle Tage bis zum Ende der Welt“ (Mt 28,18–20). Jeden Tag, niemand ausgenommen, aber auch jeden Augenblick, denn es gibt keinen Augenblick in der Geschichte oder in unserem Leben, der Seiner Gnade entzogen ist.

Der gegenwärtige Augenblick ist derjenige, der uns der Ewigkeit am nächsten bringt, denn der gegenwärtige Augenblick „ist“. Die Vergangenheit ist nicht mehr, die Zukunft ist noch nicht, aber im Sein des gegenwärtigen Augenblicks begegnen wir Gott, der als ewige Gegenwart definiert werden kann, weil Gott seinem Wesen nach Sein ist. Wir werden von Gott in dem gegenwärtigen Augenblick gerichtet werden, der unser Tod sein wird. Unser Leben, es kennt Schatten und Licht, Höhen und Tiefen oder zumindest die Möglichkeit von Höhen und Tiefen, von verschiedenen Gipfeln, denn niemand ist mehr in Gefahr zu fallen als diejenigen, die nach Vollkommenheit streben, aber der Moment der Wahrheit wird der unseres Todes sein.

Wir denken manchmal, daß Gott dann eine Bilanz unseres Lebens ziehen und uns nach einem arithmetischen Mittelwert beurteilen wird. Dem ist nicht so. Das Bild der Waage ist trügerisch. Unser Leben wird nicht in seiner Gesamtheit beurteilt, sondern in einem einzigen Moment, den wir als Momentaufnahme des Todes bezeichnen könnten.

Wenn wir uns das Gericht als eine Waage vorstellen müßten, auf der die Menge an Bösem oder Gutem, die wir begangen haben, abgewogen wird, könnten wir törichte Berechnungen anstellen, bei denen die Sünde von heute durch die Tugend von morgen ausgeglichen werden könnte. Dem ist nicht so. Natürlich, jedes Scheitern zählt, ebenso wie jede Entsprechung der Gnade, denn jede Handlung hat Folgen, aber nicht im Sinne eines arithmetischen Durchschnitts. Was wirklich zählt, ist der letzte Augenblick unseres Lebens, das Aufblitzen auf der Ziellinie, und niemand weiß, welches Bild in diesem Aufblitzen der Ewigkeit übergeben wird. Niemand weiß, welche letzte Gnade wir erhalten werden und ob wir dieser letzten Gnade entsprechen werden. Und niemand kennt den Zeitpunkt des eigenen Todes.

Deshalb müssen wir im gegenwärtigen Augenblick leben. Unser Leben ist kein Film mit einem gesicherten Happy End, sondern eine Abfolge von Momentaufnahmen des gegenwärtigen Augenblicks.

Im gegenwärtigen Augenblick zu leben bedeutet, niemals mutlos zu werden, sondern sich von Augenblick zu Augenblick der göttlichen Vorsehung zu überlassen, die um die tiefe Bedeutung dieses flüchtigen Augenblicks weiß. Indem wir im gegenwärtigen Augenblick leben, üben wir die Tugend, die wir gerade in diesen Tagen am meisten brauchen: die Hoffnung und das Vertrauen auf den endgültigen Triumph des Unbefleckten Herzens Mariens."

Quelle: R.d.Mattei, Radio Roma Libera

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