In seiner heutigen Kolumne für Monday at the Vatican kommentiert A.Gagliarducci die politischen Aussagen des Papstes während des sonntäglichen Angelus, die an die Stelle eines Kommentars zum Tagesevangelium gerückt sind.
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"PAPST FRANZISKUS, EIN POLITISCHES PAPSTTUM?"
Papst Franziskus´ Entscheidung die Worte, die am 2. Oktober dem Angelusgebet vorangingen, der Lage in der Ukraine zu widmen ist nicht neu. Dasselbe hat er 2013 getan, als er sich wegen der Krise in Syrien Sorgen machte. Zweimal hat Papst Franziskus also den religiösen Teil mit dem Kommentar zum Evangelium weggelassen, um vor und nach dem Angelus eine Reihe von Appellen und Grüßen auszusprechen.
Während Papst Franziskus´ Entscheidung außerordentliche Wirkung hatte, bleibt uns dennoch über die Tatsache nachzudenken, daß der Papst den religiösen Teil des Angelus, den Kommentar zum Evangelium, eliminiert hat, als ein Appell für die Ukraine auch- wie allgemein üblich- nach dem Angelusgebet hätte gemacht werden können, dem würdigen Moment, der bereits für derlei Erklärungen vorgesehen ist.
Die Entscheidung führt zu einer Frage: ist für Papst Franziskus die politische Seite oder die religiöse Seite entscheidender?
Papst Franziskus hat immer eine hinausgehende, missionarische, nicht selbstbezogene Kirche verlangt. Er hat wiederholt die Wichtigkeit betont, vom Evangelium auszugehen und hat nach dem Angelus kleine Evangelien-Bücher verteilt und jeden gebeten, täglich eine Passage darin zu lesen.
Dennoch scheinen für Papst Franziskus die politischen Aspekte vor den religiösen zu kommen. Im Allgemeinen wurde politische Entscheidungen von spirituellen Gesichtspunkt aus präsentiert. Aber im Namen einer gewissen Konkretheit, stellt Papst Franziskus die konkrete Tatsache voran, getreu dem Prinzip, daß "Realität größer ist als Ideen"-wie bereits in Evangelii Gaudium beschrieben.
Diese Konkretheit zeigt sich bereits in kleinen Gesten: Papst Franziskus spendet niemals die Kommunion, um zu vermeiden. daß das politisch ausgeschlachtet werden kann.
Der Papst wird allerdings wirklich konkret, wenn er in die öffentliche Diskussion eintritt. Laut seinem Eingeständnis entstand Laudato Si´ aus einer externen Aufforderung heraus, die Kirche ein Dokument zum Thema des Pariser Klimagipfels von 2015 produzieren zu lassen.
Als er das Amt übernahm. hat Papst Franziskus die Päpstliche Akademie der Wissenschaften sofort gebeten. eine Überlegung zum Thema Menschenhandel zu beginnen, die dann zu seinem ersten diplomatischen Engagement wurde.
Und sofort nach seiner Wahl wollte der Papst, in den Kommuniqués, die den Treffen mit den Staatsoberhäuptern und Regierungs-Chefs folgten, Bezug auf die "Kultur der Begegnung" nehmen, ein Thema, das ihm sehr am Herzen liegt und dann in den Bemühungen zu Dialog um jeden Preis, sogar in schwierigen Situationen, konkret wurde, sogar wenn dieser Dialog mehr Schaden als Nutzen bringen konnte.
Die Entscheidung zum zweiten Mal beim Sonntagstreffen mit den Gläubigen den Kommentarteil zum Evangelium wegzulassen, ist ein Zeichen, daß für den Papst die konkrete Situation vor dem Predigen kommt, wenn es die Dinge dringend werden.
Schließlich ist ein gewisser Interventionismus für den Papst charakteristisch, sogar jenseits diplomatischer Regeln. Der Entschluss sich unmittelbar nach dem russischen Angriff auf die Ukraine mit dem Botschafter der Russischen Föderation beim Hl. Stuhl zu treffen, ist nicht anders zu erklären. Wenn man sich die Handlungen des Papstes ansieht, gibt es die Idee, dass es in ihm drei verschiedene Seelen gibt: die des Pfarrers, des leidenschaftlichen Predigers des Evangeliums, der auf die Bekehrung der Seelen abzielt; die des öffentlichen Papstes, einer Figur von Gewicht, die daher die Dinge sagt, die für die Öffentlichkeit relevant sind, die Debatte des Augenblicks verfolgt und sich in sie einmischt; und die jesuitische, die noch etwas von der alten hierarchischen Tradition durchdrungen ist.
Diese drei Seelen verschmelzen in widersprüchlichen Entscheidungen, die mit dem eigenen Denken des Papstes übereinstimmen.
Ein Beispiel ist die Reform der Kurie. Mit der Reform verschwand die Unterscheidung zwischen Kongregationen und Päpstlichen Räten. Die Regierungsgewalt des Bischofs fällt, weil die Regierungsfähigkeit nun in der vom Papst anvertrauten kanonischen Missio liegt.
Ein Schritt zurück verglichen mit dem II. Vaticanischen Konzil, das stattdessen die potestas der Bischöfe betonte. Papst Franziskus´ Entscheidung jedoch ruft die Argumente in Erinnerung, die die Jesuiten benutzten, um den päpstlichen Primat zu der Zeit zu verteidigen, als die Kirche durch die großen Revolutionen angegriffen wurde. Angesichts des vorherrschenden Säkularismus betonten die Jesuiten, daß es der Papst ist, der die kanonische Missio erteilt.
Das ist ein altmodisches aber doch sehr konkretes Thema, das die jesuitische Seele des Papstes beweist.
Das Thema ist Teil einer Reform der Kurie, die darauf abzielt, den päpstlichen Ämtern neue pastorale Strukturen zu verliehen; deshalb können wir die Entscheidung des Hirten in diesem Sinn verstehen.
Und schließlich sieht man den politischen Papst klar, wenn man festetellt, daß die Struktur der Kurie tatsächlich reformiert wurde, um auf die Bedrüfnisse der modernen Zeit zu antworten, aber auch mit dem Blick auf jene, die in diesen Zeiten auf mehr Laien und Frauen in Führungspositionen bestanden haben.
Kurz gesagt, Papst Franziskus´ Pragmatismus charakterisiert das Pontifikat. Und das ist paradox, wenn wir bedenken, daß der Papst so viel Wert auf die Mission legt, daß er die Leitung des Dicasteriums für die Evangelisierung der Völker, die Abteilung für die Mission, selbst übernehmen wollte."
Quelle: A. Gagliarducci, Monday at the Vatican
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